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So wertvoll wie ein kleiner Schinken  

 

Gestern Abend habe ich (mal wieder) ein Online-Seminar gehalten. Es ging um Historienmalerei und wie in ihr die Geschichte dargestellt wird, bzw. wie historische Ereignisse durch sie ihre Würdigung erfahren. Dokumentiert werden. Obwohl meist derjenige, der dokumentiert, gar nicht dort war. Das Ereignis gar nicht selbst erlebt hat. Es nur aus Berichten kennt. Da kann doch eigentlich nichts Vernünftiges bei rauskommen...

 

Und doch war die Historienmalerei lange Zeit DIE Gattung, die Kategorie in der Malerei, die als die höchste galt. Vielleicht biegen wir an dieser Stelle einmal ganz kurz bei dem Wort Gattung ab, in die Grundlagen der Kunstgeschichte. 

 

Aaaaaalso: grundsätzlich unterscheidet man in der Kunstgeschichte drei Gattungen: Malerei, Architektur und Bildhauerei. (Ich würde dem noch aus heutiger Sicht die Gestaltung, das Design hinzufügen, aber das lassen wir jetzt einmal kurz außen vor.) Die Malerei wiederum unterteilt man in fünf Kategorien, die zudem hierarchisch geordnet sind. Wer sich das ausgedacht hat? Ich war’s nicht! Das war die „Académie royale de peinture et de sculpture“ und zwar schon 1648. Danach steht die Historienmalerei an erster, an höchster Stelle, es folgt das Porträt, dann die Genremalerei. Erst auf Platz vier dann die Landschaft und den letzten, fünften Platz nimmt das Stillleben ein. 

 

Das hört sich vielleicht für uns heute ein bisschen komisch an – wir würden vermutlich aus ästhetischen Gesichtspunkten die Landschaftsmalerei weiter oben in der Gewichtung ansiedeln.

 

Wie aber kam man denn eigentlich an der Académie royale auf diese Hierarchie?

Tatsächlich hatte das mit ästhetischen Gesichtspunkten nur recht wenig zu tun. Es ging um die Inhalte der Werke. Und davon hat so ein Historiengemälde natürlich mehr zu bieten. Es erzählt eine Geschichte. Also die Geschichte in einer Geschichte. Im Bild. Ok, jetzt drehen wir uns im Kreis. Also zurück. Was wird in so einem Historiengemälde dargestellt: es sind religiöse Szenen zum Beispiel aus der Bibel, mythologische Erzählungen, aber eben auch eine Schlacht, eine Schlüsselübergabe (= Kapitulation) und ähnliche historische Ereignisse. Also alles wichtige Sachen. Für uns heute vielleicht nicht mehr ganz so wichtig, aber für die jeweiligen Zeitgenossen. Aber darum geht es jetzt mal nicht. Und genau so wichtig sind diese Geschehnisse auch dargestellt worden: Triumph! Glorifizierung! Tatahhhh! 

 

Damit der Künstler - der Maler – dies auch entsprechend rüberbringen konnte, musste er (ja, es waren meist männliche Künstler) selbst halbwegs gelehrt sein. Er musste ja die Quellen kennen, sie im Zweifel selbst gelesen haben. Denn, wie weiter oben schon gesagt, er war ja in der Regel nicht selbst vor Ort. Das versteht sich, wenn man es auf biblische Geschichten oder gar mythologische Szenen bezieht. Aber auch bei Schlachten, kriegerischen Auseinandersetzungen, feindlichen Übergriffen, ... waren Maler selten direkt mitten im Geschehen. Sie hatten aber hinterher die Aufgabe, es so darzustellen, als wären sie just in dem Moment vom Pferd gehüpft und hätten noch die rauchenden Kanonen und stürmenden Pferde gesehen. Haben sie aber nicht. Mussten sie sich anlesen. Man nennt sie deshalb auch „Pictor Doctus“ also Malergelehrter oder gelehrter Maler. Häufig musste dieser nicht nur lesen und schreiben, sondern die Quellen auch interpretieren können – dazu gehörte Grips, ein helles Köpfchen. Oftmals mussten sie dabei auch berücksichtigen, für wen sie malten und die jeweilige Begebenheit so darstellen, dass der betreffende Herrscher auch möglichst gut dabei weg kam. Ein Beispiel ist vielleicht „Die Übergabe von Breda“ von Diego Velázquez, entstanden um 1635 – also etwa 10 Jahre nachdem die tatsächliche „Übergabe“ stattgefunden hat. 

 

(Exkurs vom Exkurs: Die niederländische Stadt Breda hatte die Schlüsselposition im Stellungskrieg zwischen den niederländischen und spanischen Truppen inne. Siegen sollten schlussendlich nach zwölf Monaten die Spanier, die unter General Ambrosio de Spinola gekämpft haben. Velázquez stellt in seinem monumentalen Werk (es ist ca. 3x4m groß) nun den Moment dar, in welchem der niederländische Kommandant Justinus von Nassau die Stadtschlüssel an Spinola überreicht. Velázquez war da selbst nicht anwesend – auch wenn er sich später in das Gemälde einfügt: ganz rechts, unter der Fahne der Spanier, hinter dem Pferd, das ist er.) 

 

Zurück zu dem eben gesagten: Diego Velázquez als Hofmaler des spanischen König Philipp IV. hatte nun natürlich die Pflicht, die Spanier so gut wie möglich darzustellen. Ja, sie hatten gesiegt. Aber trotzdem. Glorifizierung! Und das musste man können. Und die Ereignisse kennen. Pictor Doctus. Das war im Grunde genommen Marketing. Also nicht nur hier, sondern generell. Historienmalerei ist Werbung. Propaganda. Und damit nicht immer so ganz der Wahrheit entsprechend. So wertvoll wie ein kleines Steak. (Das ist ja dieser süße kleine Joghurt auch nicht wirklich. Aber die Werbung sagt das.) So ein Historienschinken (hihihi) sollte die Betrachter einschwören. Stolz machen. Zum Beispiel. Patriotismus. „Mein König ist der tollste“ und so. 

 

Also schon ganz viele Gründe, warum die Historienmalerei natürlich in der Hitliste ganz oben anzusetzen ist. Und dann kommt noch etwas hinzu: die Historienmalerei vereint im Grunde genommen all die anderen Gattungen in sich. Nehmen wir als Beispiel wieder „Die Übergabe von Breda“: hier musste Velázquez ja auch die Landschaft darstellen (=Landschaftsmalerei). Und das, obwohl er vielleicht nie selber dort war. Nein, nicht nur vielleicht. Er war dort nie. Er war in Madrid und in Rom und in Venedig und ... aber nicht in Breda. 

Außerdem sollten ja auch die Menschen in dem Bild nach was aussehen, also musste er auch die Kunst der Porträtmalerei beherrschen. Schwupps, nächste Gattung verarbeitet. Velázquez konnte das übrigens. Er hat zum Beispiel 1650 ein Bildnis von Papst Innozenz X. angefertigt und als dieser es gesehen hat, soll er ausgerufen haben: „Troppo vero“ – also „zu echt“. 

 

Na und damit haben wir einen weiteren Grund, warum die Historienmalerei – der Ansicht der der Académie royale nach – den Spitzenplatz mehr als verdient hat. 

 

Das ändert sich übrigens spätestens mit der Erfindung der Fotografie. Sie hat Vorteile im dokumentarischen Bereich, da kommt die Malerei nicht mit. Aber: Fotos sind auch immer nur ein subjektiver Ausschnitt des Lebens. Abhängig vom Blickwinkel des Betrachters. Von der Auswahl des Bildausschnitts. Des Motivs. Dem Licht. Und so vielem mehr. Also auch nicht einfach „nur die Realität“. Sondern auch immer ein bisschen Steak. Also manipuliert. Oder manipulierend... Dazu aber ein anderes Mal mehr!

 

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