· 

So nah und doch so fern - Kunst zwischen analog und digital

In den letzten Wochen war der gesamte Kunst- und Kulturbereich „schockgefrostet“, eine persönliche Begegnung zwischen Kunst und Mensch fast unmöglich. Einige Kulturinstitutionen haben schnell reagiert und ein digitales Angebot (soweit es nicht ohnehin schon bestand) zur Verfügung gestellt und/oder ausgebaut. Eine interessante Erfahrung, denn nun konnte man, ohne die eigene Wohnung zu verlassen (#flattenthecurve) durch die Museen der Welt schlendern, ja sogar (virtuell) auf das Dach des Government House in Sydney steigen, um einen traumhaften Blick auf den Hafen zu genießen. Viele neue Angebote sind hinzugekommen – den Überblick zu bewahren, ist gar nicht so einfach. 

 

Natürlich kam (und kommt) die Frage auf: Können und werden digitale Angebote nun die analogen ersetzen? Ich vergleiche die Begegnung mit Kunstwerken immer wieder gerne mit der zwischenmenschlichen Begegnung. Museumsbesuche lassen sich sehr schön mit Empfängen oder Parties vergleichen: Wir gehen zu einem bestimmten Ort, haben eine gewisse Erwartung, vielleicht tragen wir ja sogar ein besonderes Outfit. Die Tür geht auf, man geht hinein, sieht sich um. (Übrigens kommt jetzt schon ein signifikanter Unterschied: auf einem Empfang oder einer Party würde man sehr wahrscheinlich nicht von Person zu Person gehen und mit jedem versuchen, ins Gespräch zu kommen. Im Museum oder in einer Ausstellung versucht man das aber immer wieder! ...meine Idee hierzu: bleiben lassen und nach dem Party-System vorgehen – dazu später mehr.)

 

Kommen wir also zurück zur Party: Die Musik spielt im Hintergrund und wir lassen uns durch die Menge treiben. Jemand bietet uns einen Drink an – wir gehen weiter... Sehen ein bekanntes Gesicht und steuern direkt darauf zu. Werden aber abgelenkt, weil uns jemand am Ärmel zupft und in ein Gespräch verwickelt: „Sind Sie nicht...?“ Nein, sind wir nicht, aber wie schön, man hat gemeinsame Bekannte, ein kurzer Austausch findet statt, bevor es weitergeht in Richtung des bekannten Gesichts. Angekommen, erfolgt ein blitzschneller Abgleich, ob derjenige noch genauso aussieht wie bei der letzten Begegnung, die Haarfarbe geändert hat, eine neue Brille trägt, gar den Bart abgenommen hat. Kurzer Smalltalk, bevor es schon bald mit tiefgreifenderen Themen weitergeht: Was hältst du von der Situation? Wie gehen wir damit um? Ach ja, bei uns auch. 

 

Jetzt ersetzen wir die Party durch die Ausstellung und kommen zurück zu meiner Idee, mit den ausgestellten Kunstwerken ebenso wie mit den Menschen zu verfahren. Bekannt? Unbekannt? Sympathisch? Oder gar nicht? Tatsächlich ist das sogar etwas, das ganz unbewusst stattfindet, wir gar nicht wirklich einen ganzen Fragenkatalog durchgehen müssen. Oder? Na also! ...und nun lassen wir uns eben zu den Bekannten treiben oder wir fangen einen SmallTalk mit den Sympathischen an. Macht den Ausstellungs- oder Museumsbesuch gleich um Einiges entspannter und man fühlt sich nicht getrieben, jedem (Kunstwerk) die „Hand geschüttelt“ zu haben. (Kleine Anmerkung nebenbei: wir können uns ja sowieso nicht mit allen „unterhalten“ oder jedem die gleiche Aufmerksamkeit zukommen lassen – ich nenne hier mal das Stichwort Reizüberflutung und beziehe es auf den Besuch der Kulturinstitution ebenso wie auf den Empfang/die Party.)

 

Zurück zu meiner ursprünglichen Frage: Können und werden digitale Angebote nun die analogen ersetzen? Meine Gegenfrage: verzichten wir denn auf menschliche Kontakte, wenn dies wieder möglich ist? Sehr wahrscheinlich ja nicht! Nur, weil wir jetzt sämtliche Möglichkeiten des Austausches genutzt haben, bedeutet das ja nicht, dass der zwischenmenschliche Kontakt im realen Raum nun für alle Zeiten ausgesetzt wird. Die Begegnung wird „in echt“ eine andere sein, das steht fest, aber stattfinden wird sie. Genauso werden wir aber doch wohl auch weiterhin miteinander telefonieren, auch die Möglichkeit von Videotelefonie und -konferenz nutzen. (...und nein, wir brauchen jetzt nicht darüber sprechen, dass die reine „Qualität“ einer zwischenmenschlichen Begegnung im realen Raum ersetzbar sein soll – das mit Sicherheit nicht.)

 

Übertragen wir dies nun wiederum auf den Kunstbereich. Auf Museen, Ausstellungen, aber auch auf Bibliotheken, das Theater, die Oper,... (Wenn ich hier nicht alle Kulturinstitutionen aufzähle, liegt das nicht an einer Wertung, sondern an der ansonsten schier endlos werdenden Liste.) Wir werden das Konzert vor Ort genießen und auch die Möglichkeit, Kunstwerke aus der Nähe zu betrachten, die Theaterluft zu schnuppern (auch wenn es zunächst durch die Maske geschieht). Aber wir werden wohl auch die Möglichkeit nutzen, in Bibliotheken zu stöbern, die lange Reisen entfernt liegen. Oder eine Opernaufführung in New York ansehen, wenn uns diese als Bild- und Tonaufnahme  zur Verfügung gestellt wird (wie bislang ja auch im Übrigen schon Tonaufnahmen aus der ganzen Welt gehört wurden – auf LP, CD, ...). Ich denke, wir werden die Vorteile beider „Welten“ – der digitalen und der analogen – zu schätzen lernen und sie werden nebeneinander existieren. Vielleicht noch nicht sofort gleichberechtigt.

 

Ich finde es unglaublich spannend, welch tolle Möglichkeiten uns geboten sind! Spannend in diesem Zusammenhang ist dann die Frage nach der (Kultur-)Vermittlung, nach Ausstellungsführungen, Einführungen zu Opernthemen, ... (auch hier wird die Liste länger, je mehr ich darüber nachdenke) – aber das würde das Thema jetzt und hier sprengen. Gegebenenfalls folgen meine Gedanken zu einem anderen Zeitpunkt einmal...

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0