“If you think, good design is expensive,
you should look at the cost of bad design.”
(Dr. Ralf Speth, CEO Jaguar)
„Ach, das ist Design, deshalb ist das so teuer!“ Viele haben diesen Satz so oder so ähnlich schon einmal gehört, vielleicht sogar selber gesagt. Aber ist diese Aussage denn so richtig? Klare Antwort: Nein! Denn tatsächlich bedingt das Eine nicht das Andere, heißt: nur weil etwas Design ist, muss es nicht teuer sein. Ach, umgekehrt natürlich auch nicht: nur weil etwas teuer ist, ist es nicht unbedingt „Design“.
Vielleicht zäumen wir aber das Tierchen mit der Mähne nicht von hinten auf, sondern klären erst einmal dieses „Design“. Was ist das, was will es, woher kommt es,...
Kurze Zeitreise zurück in die Zeit vor der Industrialisierung. Damals gab es eine Religionsgemeinschaft, die Shaker. Man nannte sie so, weil sie Tänze ausführten, bei denen sie sich ekstatisch bewegten, eben schüttelten. Ursprünglich in England zu Hause, waren sie Ende des 18. Jahrhunderts wegen religiöser Verfolgung nach Amerika ausgewandert. Dort lebten sie in Gemeinschaften zusammen, Frauen und Männer gleichberechtigt und im Zölibat. Drei Dinge prägten ihren Alltag: Ordnung, Arbeitsfreude und Bescheidenheit. So lebten sie sehr schlicht eingerichtet, fertigten alle Gegenstände des täglichen Gebrauchs selbst und erfanden dabei so fortschrittliche Dinge wie die Kreissäge, einen Erbsenschäler, eine rotierende Egge, Dreschmaschinen, ... und die Wäscheklammer. Und vielleicht nehmen wir genau diese einmal als Beispiel heran. Da ist sie: ein einfaches Holzstück mit einem Schlitz.
Perfekt geeignet, um Wäschestücke auf einer Schnur festzuklemmen. Nicht mehr, nicht weniger. Hat im 18. Jahrhundert funktioniert, funktioniert heute noch genauso. (Nein, das Argument mit dem Wäschetrockner passt da jetzt nicht rein – auch heute hängt man noch Wäsche auf, immer wieder, überall.) Und eben genau diese Wäscheklammer zeigt, was die Shaker wollten: einfache, schlichte Dinge unter sparsamsten Mitteln gefertigt und dabei doch qualitativ hochwertig.
Der Inbegriff von dem, was Design ist (weshalb man historisch auch von den Shakern als den ersten Designern spricht): Formgerechte und funktionale Gestaltgebung.
Und ja, zur Zeit der Shaker sprach man noch nicht von Design in unserem heutigen Sinne – aber eben von Gestaltung. In den 1950er Jahren hat man dem Kind dann auch im deutschsprachigen Raum einen neuen Namen gegeben. Hört sich doch auch irgendwie gleich viel besser an: Design. Nicht mehr das olle „Gestaltung“. Und tatsächlich meinte man mit Gestaltgebung auch noch genau dies: den Dingen eine Form geben. Zweckgebunden. Mit der neuen Bezeichnung wollte man zum Ausdruck bringen, dass Design mehr ist als dies. Es kam eine ästhetische Dimension hinzu. (Also ja, dann ist natürlich Gestaltgebung und Design nicht mehr das Gleiche.)
Eben gerade waren wir aber noch bei den Shakern: Nach dem letzten Stand gibt es noch zwei aktive Mitglieder einer Shaker-Gemeinschaft in Maine/USA. Dort, an der Ostküste, wo auch die ersten Pilgerväter eine neue Heimat gefunden haben, gibt es bis heute noch (Freilicht-)Museen, wie das Hancock Shaker Village in Massachusetts. Es bietet einen wunderbaren Einblick in das Leben der Shaker, das Handwerk und ihre Philosophie: „Schönheit geht aus der Brauchbarkeit hervor.“
Von den Shakern fliegen wir wieder zurück über den großen Teich und landen mitten in der Industriellen Revolution, die in England Mitte des 18. Jahrhunderts und ab dem 19. Jahrhundert dann auch in Westeuropa und den USA einsetzt. Hier stand unter anderem die Idee im Vordergrund, kostengünstig, seriell und somit für die Masse erschwinglich zu produzieren. Ein typisches Beispiel ist hier der sog. Caféhausstuhl von Michael Thonet, der „Konsumstuhl Nr. 14“ (heute Modell 214) – ein um 1855 entwickeltes Bugholzmöbel, bestehend aus einer minimalen Anzahl von Teilen. Reduzierte Form und Material, bis nichts mehr zu reduzieren war. Produziert mit dem geringstmöglichen Fertigungsaufwand. Ich sag nur Wäscheklammer!
Das industrielle Produzieren stieß natürlich nicht nur auf Gegenliebe. So versuchte das Arts&Crafts-Movement um William Morris, diesen „seelenlosen“ Dingen etwas mehr Seele entgegenzusetzen, indem sie konsequent auf handwerklich gefertigte Produkte setzten. Handwerklich gefertigt heißt aber auch: geringe Stückzahlen, Kleinstserien oder Einzelstücke. In der Konsequenz teurer als Massenware. Macht aber nichts, weil auch andere Zielgruppe. Und eine grundsätzlich andere Philosophie.
Halten wir also kurz fest: wir haben auf der einen Seite seriell gefertigte Produkte = erschwinglich für jedermann und auf der anderen Seite (kunst-)handwerklich gefertigte Einzelstücke = meist gehobenere Preisklasse. Verkürzt könnte man auch sagen: der gestaltete Gebrauchsgegenstand ist günstig, das kunst(-handwerkliche) Unikat ist teuer.
Dem aufmerksamen Leser mag aufgefallen sein, dass oben noch das (kunst-) in Klammern steht und weiter unten das (-handwerkliche). Tadaaahhhh! Wir kommen der Sache näher, sind aber noch nicht da.
Weiter geht’s. Bis in die 1950er Jahre ist es für die meisten Gestalter ok, wenn ihre Produkte von Firmen hergestellt werden, ohne dass ihr Name irgendwo erscheint. (Ja, mit Ausnahmen natürlich.) Mit dem Wirtschaftswunder tauchen aber nun verstärkt Designer auf, die Wert darauflegen, dass SIE die Hervorbringer dieser oder jener Idee waren. ...ist ja auch ihr gutes Recht. Damit steht also jetzt auf dem Boden der Vase, der Rückseite des Bestecks, der Unterseite des Eierschneiders, ... nicht mehr nur ein Firmenname (der Produzent), sondern auch der geniale Geist. Man spricht vom Autorendesign. So und damit sind wir beim Punkt. Wir haben eine „Signatur“. Und damit wird der gestaltete Gebrauchsgegenstand zu etwas, das ein bisschen mehr ist. Irgendwo auf dem Weg hin zu einem Kunstwerk. Hat ja auch eine Signatur. Wir befinden uns in einer Grauzone zwischen Design und Kunst. Hier spielt dann auch der Preis wieder eine Rolle. Kunst „kostet“. Ist auch keine Massenware.
Und genau diese Grauzone führt zu der Annahme, dass Design teuer ist.
Ist es aber nicht.
Sondern das Kunstwerk.
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