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Woran erkenne ich gute Kunst?

 

Also, eins weiß ich mit Sicherheit: meinem Prof[1] aus dem Kunstgeschichtsstudium würde es allein schon bei der Überschrift die Haare zu Berge stehen lassen. „Gute Kunst“ – in seinen Augen eine Kombination, die es per se schon nicht gibt. „gut“ und „Kunst“ gehört ebenso wenig zusammen wie „schlecht“ und „Kunst“. Was er meinte, ist natürlich nicht, dass es keine gute Kunst gibt. Ihn störte vielmehr das Wort „gut“ – bzw. im anderen Fall natürlich das „schlecht“. Warum? Ganz einfach: gut und schlecht sind individuelle Kriterien, unterliegen der subjektiven Wahrnehmung des Einzelnen und lassen sich nicht verallgemeinern. 

 

Da sind wir wieder bei einer ganz ähnlichen Geschichte wie vergangene Woche, als es um Farbe, um Farbwahrnehmung, ging. Wir alle nehmen Farbe unterschiedlich war, denn wir nehmen unwillkürlich eine Interpretation von Farbe vor. Basierend auf unseren Erfahrungswerten, Hintergründen und vielem mehr entsteht unsere Version der Farbe. Nicht eine für alle gültige Version.

 

Zurück zur Kunst: auch hier ist es die subjektive Wahrnehmung, die im Vordergrund steht. Oh nein, halt, ich muss mich korrigieren: Das tut sie nicht. Sie sollte es aber. Warum ich hier so eine Wortklauberei betreibe? Weil zwei unterschiedliche Ansprüche in den Aussagen stecken. Eigentlich wäre es das einzig richtige, nur auf sich selbst, die „innere Stimme“ zu hören, wenn man Kunst betrachtet – und hier verallgemeinere ich einmal kurz und beziehe es wirklich auf den gesamten Kunstbegriff. Also auf Malerei, Bildhauerei, Architektur ebenso wie auf Theater, Musik, Literatur,... Ganz häufig lassen wir uns hier aber leiten, oder sogar verleiten. XY hat gesagt, das man dieses oder jenes Buch gelesen haben muss. Und selbstverständlich, dass es soooooo gut ist. Oder Bekannte ABC hat eine Ausstellung in DEF besucht und die war so großartig – ein Fehler, sie nicht auch gesehen zu haben. Und schon ist es passiert. Wir verlassen uns auf die Urteile der anderen und lesen das Buch, besuchen die Ausstellung. So weit, so gut. Daran ist auch überhaupt nichts verkehrt, im Gegenteil: Empfehlungen sind unendlich wertvoll. Das Problem (und hiermit der Ausgangspunkt meiner Wortklauberei) liegt an einem anderen Punkt versteckt und hierzu besuchen wir in Gedanken mal ganz kurz die Ausstellung in DEF. 

 

Wir stehen also an einem schönen Tag in DEF vor... Na ja, sagen wir es ist ein Museum mit wechselnden Ausstellungen. Die freundliche Dame an der Kasse entlockt unserem Portemonnaie den für den Besuch zu entrichtenden Betrag, händigt uns ein Karte aus, die uns zum Eintritt berechtigt und los geht es. Aber, ach du Schreck, was ist das denn? Vor unseren Augen breitet sich etwas aus, das die Betrachtung nicht wert ist. Aber. Die Bekannte hat ja gesagt. Ach. In der Zeitung stand auch. Und. Ist nicht der Künstler. Hin und her gerissen. 

 

Wir verlassen die Situation ganz kurz.

Wäre es die subjektive Wahrnehmung, die im Vordergrund stehen würde (viele Konjunktive!), würden wir jetzt gehen. Kaffee trinken. Ein Eis essen. Vielleicht auf den Schreck auch noch eine Tafel Schokolade hinterher. 

 

Tut sie es nicht, steht nicht die subjektive Wahrnehmung im Vordergrund, bleiben wir. Warum? Weil doch alle anderen... 

 

Ich glaube, wir sind uns einig: wir brauchen gar nicht mehr in die Ausstellung zurückzukehren. Aber wir können wieder an den Anfang meiner kleinen Ausführung gehen: gute und schlechte Kunst. Spoiler: Erkenne ich nicht, weil mir jemand sagt, das sie so oder so ist. 

 

Die Antwort ist ganz simpel: Gute Kunst (oder eben auch schlechte) ist „meine Kunst“ oder eben „nicht meine“. Es gibt doch das schöne Sprichwort „Kunst entsteht im Auge des Betrachters“. Genau das! Und derjenige, der (oder diejenige, die) betrachtet, empfindet Positives oder Negatives vor dem jeweiligen Kunstwerk (oder beim Lesen eines Buches, beim Lauschen des Musikstücks). Gute Kunst entsteht also dann, wenn sie etwas auslöst. Zunächst einmal egal was. Auslösen ist das Stichwort. Irgendeine Gefühlsregung. Denn dann wirkt sie/es. Das heißt, „gute“ Kunst für mich kann auch etwas sein, das mich im tiefsten Inneren abstößt. Entsetzt. Ekelt. Aufregt. Oder eben anspricht. Begeistert.

 

Auf den Punkt gebracht: Gute Kunst bewegt. Fordert uns heraus. Macht etwas mit uns. Und vielleicht nur mit uns. Kunsterleben ist individuell. (Was nicht heißt, das man es nicht gemeinsam tun kann.) „Aber siehst du denn das nicht?“ Nein. Nicht jeder sieht/liest/hört das Gleiche. Und schon gar nicht dasselbe. Geschmäcker sind eben verschieden. 

 

Und damit gibt es auch nicht „die gute Kunst“  (oder schlechte).

 

Ok, ich höre schon das „ja aber“. Ja aber, warum kostet dann... Das teuerste jemals verkaufte Kunstwerk ist „Salvator Mundi“ von Leonardo da Vinci. Es ist für 382 Millionen Euro verkauft worden. (Einmal googlen, bitte. Und?) Oder das im Moment auf Rang 10 der teuersten jemals verkauften Kunstwerke stehende ist „No. 5, 1984“ von Jackson Pollock. (Auch googlen, bitte. Und?) Die werden doch durch ihren erzielten Preis nicht „besser“ oder „schlechter“! Hier dürfen wir zwei Welten nicht miteinander vermischen – die Kunst(geschichte) auf der einen und den Kunstmarkt auf der anderen Seite.  Die Kunst(geschichte) ist eine ideelle Sache, der Markt eine materielle. Das höherpreisige Kunstwerk ist nicht unbedingt das, was in meiner subjektiven Wahrnehmung weiter oben auf der Ästhetikskala steht. 

 

Ach und genau aus dem Grund kann ich als Kunsthistorikerin auch nicht Kunst erklären. Niemandem. Genau wie Joseph Beuys[2]. Kann ich nicht. Will ich aber auch gar nicht. 

 

Was ich will: Neugier wecken. Hinweise geben. Blicke lenken. 

Sehen muss dann jeder selbst. 

...und fühlen. 

 

 



[1] Prof. Dr. Norbert Werner (1937-2019)

[2] Joseph Beuys, Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt. Galerie Schmela/Düsseldorf, 25.11.1965.

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