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Müssen Frauen nackt sein...

...um ins Museum zu kommen?

 

 

In die Kunstlandschaft kommt gerade wieder ein bisschen Bewegung, der Wind weht (mal wieder) etwas mehr aus weiblicher Sicht. Auch in der von Johan Holten kuratierten neuen Ausstellung der Kunsthalle Mannheim „Umbruch“ sind Frauen im Vordergrund; an anderen Stellen wird diskutiert, wie man die weibliche Sicht, Künstlerinnen der vergangene Jahrhunderte und der Gegenwart mehr/anders/überhaupt zur Geltung bringen kann. Ja, diese Diskussion passiert momentan nicht zum ersten Mal – aber ist es nicht interessant, dass sie überhaupt stattfindet? Schon wieder stattfindet? 

 

Hand aufs Herz, das Bild von einem „Künstler“ im Kopf, wie sieht das aus? Ist das nicht tatsächlich ein Herr mittleren Alters, gekleidet in Hose und darüber ein weites Hemd. Blau vielleicht. Im Gesicht einen zerzausten Schnäuzer, auf dem Kopf ebensolches Haar und darauf eine Mütze. Gerne Baskenmütze. In der linken Hand trägt der Herr seine Palette mit bunten Farbklecksen und in der rechten Hand den passenden Pinsel, gern mit langem Stiel... 

Erwischt? 

 

Schauen wir in der Szene weiter: Da hinten rechts in der Ecke. Da steht doch ein etwas verwohntes Sofa, oder? Und darauf? Die Muse! Oder, anders gesagt, eine leicht bis gar nicht bekleidete Dame... Das ist vielleicht die Chance ihres Lebens! So, wie sie da liegt, wird sie eine große Chance haben, eine gewisse Berühmtheit zu erlangen. Es sogar bis in die großen Museen der Welt zu schaffen! ...vielleicht nicht namentlich, aber doch bestimmt ihr nackter Körper...

 

Darum ging es ihr wahrscheinlich aber nicht, sondern eher um das Geld, das sie mit ihrer Tätigkeit verdienen konnte. Noch heute ist die Arbeit als Modell oder Aktmodell in der Regel eine vorübergehende Nebentätigkeit, die eher schlecht bezahlt ist. (Nein, ich spreche nicht von den Heidi Klums und Claudia Schiffers sondern von den Modellen in Malkursen, an Akademien etc.) Ein kleinerer Teil der weiblichen Aktmodelle organisiert sich mittlerweile übrigens sogar in Gewerkschaften, um gegen die Arbeitsbedingungen zu kämpfen...

 

Wir verlassen an dieser Stelle das Atelier des Künstlers und werfen mal einen Blick in die Kunstgeschichte. Da ist es erstaunlich, dass bis in die 1960er Jahre hinein mit „Frauen in der Kunst“ immer FrauenDARSTELLUNGEN gemeint waren. Also Bilder von Frauen, Skulpturen von Frauen. Erst seit etwa 50 Jahren geht man der Frage nach – bzw. wird die Frage überhaupt gestellt – warum es eigentlich (scheinbar) keine Künstlerinnen gegeben hat. Auslöser war ein Aufsatz von Linda Nochlin „Why have there been no great women artists“ im Jahr 1971. 

 

Und tatsächlich, wenn man selbst einmal nachdenkt, fallen einem sehr schnell viele Namen von männlichen Künstlern ein: Rembrandt, van Gogh, Klimt, Schiele, Kokoschka, Monet, Manet, Renoir, Kandinsky, Picasso, Vermeer, Klee, Mondrian, Polke, Schlemmer, Richter, Cézanne, Tizian, Beuys, Giotto, Michelangelo, Bernini, Miró, Feininger,... Ok. Die Liste lässt sich leicht fortsetzen und ich glaube, es ist klar, was ich meine.

 

Denken wir kurz in die andere Richtung: Welche Künstlerinnen kommen uns denn in den Sinn? Niki de Saint Phalle, Sylvie Fleury, Marianne Brandt,... Das sprudelt schon deutlich langsamer. Vor allem, wenn wir mal ein paar hundert Jahre zurückblicken. Sagen wir in die Zeit des Barock oder der Renaissance: Namen wie Sofonisba Anguissola oder Artemisia Gentileschi sind nicht die ersten, die uns einfallen, wenn wir an Kunst denken.

 

Müssen also Frauen tatsächlich nackt sein, um ins Museum zu kommen? 

 

Werfen wir einen Blick in die Geschichte. (Hierzu habe ich auch schon in meinem Artikel „Frauen am bauhaus“ etwas geschrieben – wer den noch einmal nachlesen möchte: er befindet sich unter „Blog“ auf meiner Website). Tatsächlich ist es so, das bis in das 19. Jahrhundert hinein eine künstlerische Ausbildung für Frauen in Europa nur in einem kirchlichen, höfischen oder künstlerischen Kontext in Frage kommt. Also etwa in einem Kloster oder in der väterlichen Werkstatt. Für männliche Künstler galt die akademische Ausbildung und die Anerkennung der Kunstakademie als oberste Instanz – hier wurde festgelegt, wer was konnte und wer dem Zeitgeschmack entsprach. Frauen waren von der akademischen Ausbildung im Allgemeinen - und somit natürlich auch von der künstlerischen – ausgeschlossen. Blieb nur ein Weg: privater Unterricht. Oder das Kunstgewerbe. 

 

Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts öffnet sich der akademische Betrieb gegenüber den Damen und damit ergibt sich auch erst dann die Möglichkeit zu einer akademischen künstlerischen Ausbildung. An dieser Stelle sei ein kurzer Blick auf den Ausstellungsbetrieb der Zeit geworfen: 1925 fand in der Kunsthalle Mannheim unter dem damaligen Direktor Gustav Friedrich Hartlaub die Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ statt. Tatsächlich wird mit dieser Schau die neue Stilrichtung geprägt. Ausgestellt wurden über 100 Werke. Alle von männlichen Künstlern. Ohne Jeanne Mammen. Hanna Nagel. Anita Rée. ...und dies ist nur ein Beispiel...

 

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden wiederum viele beginnende Karrieren (von Frauen und Männern) grundlos zunichte gemacht. Ihre Kunst als „entartet“ diffamiert. Sie selbst verfolgt, verhaftet, getötet,...

 

Kehren wir zurück in die Gegenwart. Ja, das Bewusstsein hat sich in der Zwischenzeit (zum Glück) ein wenig geändert. Es gibt Ausstellungen von und über Künstlerinnen. Aber noch immer ist es so, dass der Anteil der Werke von Frauen in der Alten Nationalgalerie in Berlin nur 10% beträgt. Nicht, weil es nicht mehr gab und gibt. Für das Jahr 2019 gab die Süddeutsche Zeitung  am 6.3.2020 in einem Artikel[1] bekannt, „liegt der Anteil der Künstlerinnen an den Galerieprogrammen noch immer bei etwa einem Drittel“.  Und der Anteil von Frauen in Museen weltweit liegt bei 5% - und damit sind die Kunstschaffenden gemeint und nicht die Eingangs skizzierten. 

 

Woran das liegt? Mit Sicherheit nicht an der Qualität der Werke. Ein Großteil liegt in der Geschichte begründet (s.o.) und das dadurch „Nicht-Sichtbar-in-Erscheinung-treten“. Wenn eine junge Künstlerin im Atelier ihres Vaters oder Mannes tätig war, signierte in der Regel dieser die Werke und nicht sie. Obwohl sie sie vielleicht höchst eigenhändig angefertigt hat. Das war üblich. Manche Damen haben sich auch als Männer ausgegeben. Um überhaupt malen zu können. Um ihrer Leidenschaft nachzugehen. Haben sich ein Pseudonym zugelegt um ihre Kunst vermarkten zu können. Standen im Schatten ihrer (Künstler-)Männer, haben diese unterstützt, inspiriert – aber sind eben selbst nicht in den Vordergrund getreten. Als Beispiel sei hier Camille Claudel genannt. Stellvertretend für viele. 

 

Naja, und dann kommt Linda Nochlin. Dann kommen die 1980er mit den Guerilla Girls[2], die genau diese provokante Frage stellen, die auch dem Artikel hier seinen Titel gegeben hat: „Kommen Frauen nur ins Museum, wenn sie nackt sind?“. Damit wird (endlich) etwas in Gang gesetzt. Es gibt die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen. Artikel erscheinen. Künstlerinnen werden ins Licht gesetzt. Noch nicht immer. Aber immer mehr. Bis heute ist hier viel passiert. Es darf und muss aber gerne noch mehr werden! Vielleicht, in dem wir alle den Fokus ein bisschen mehr in dieser Richtung setzen.   



[1] Internationaler Kunstmarkt - Weniger Umsatz, mehr Frauen; Süddeutsche Zeitung am 06.03.2020

[2] Die Guerilla Girls sind eine feministische Künstlerinnengruppe.

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