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Beschmutzt, besprüht, verrostet

Kunst im öffentlichen Raum oder: Kunst im Weg?

 

 

Was ein Ärgernis: da stellen einfach irgendwelche Menschen irgendwelche Sachen mitten auf öffentlichen Plätze, in Parks und vor Behördengebäude. Einfach so. Ohne zu fragen. Das geht doch nicht! Müssten nicht eigentlich erst einmal alle gefragt werden, ob das ok ist? Abstimmen vielleicht? Und auch entscheiden was da aufgestellt wird? Die Städte und Orte werden ohnehin immer voller, der Platz gefühlt stetig knapper – da muss das doch nun wirklich nicht auch noch sein. Und Kunst? Manches sieht eher aus wie ein Haufen Schrott!

 

Begrifflichkeiten

Nähern wir uns der Thematik mal von der sachlichen Seite: Zunächst müssen wir tatsächlich zwei Begriffe voneinander unterscheiden: Kunst im öffentlichen Raum und Kunst am Bau. Oftmals meinen wir eine Sache damit, doch tatsächlich gibt es wesentliche Unterschiede. 

 

Kunst am Bau ist in Deutschland irgendwann Anfang des 20. Jahrhunderts ins Leben gerufen worden, um bildende Künstler in der schwierigen Zeit zu unterstützen. 1-4% der Bausumme bei öffentlichen Gebäuden (manchmal auch bei privaten Bauten) sollte zukünftig für Kunst ausgegeben werden und den Künstlern somit finanziell unter die Arme gegriffen werden. Da die Kunstwerke oft in Gebäuden oder auf den zugehörigen Plätzen aufgestellt oder -gehängt werden, tritt sie manchmal für die Öffentlichkeit kaum in Erscheinung. Die Aufstellung hier erfolgt zudem auf Privatgrund – also streng genommen zwar im von der Öffentlichkeit genutzten Raum oder für die Öffentlichkeit sichtbar, aber zu sagen hat hier nur der oder die jeweiligen Grundstücksbesitzer.

 

Kunst im öffentlichen Raum hingegen ist etwas, das eng mit der Entstehung und Nutzung des öffentlichen Raums zu tun hat und nicht an staatliche Gelder und/oder Vorgaben gebunden ist. Meist handelt es sich hier um städtische Angelegenheiten. 

 

Ausflug in die Geschichte

Zur Kunst im öffentlichen Raum – heute auch gern mal unter „Public Art“ gefasst - ist ein kurzer Exkurs notwendig. Eigentlich kennen wir diese Art von Kunst nämlich „schon immer“. Werke, die öffentlich aus- und aufgestellt werden. Reiterstandbilder zum Beispiel. Oder Denkmale. Auch Brunnen.  Noch nichts Außergewöhnliches bis hier festzustellen. Und das Thema „öffentlicher Raum“ ist auch noch mal ganz spannend. Das ist ein weiteres Phänomen, welches wir eigentlich erst so ab dem 19. Jahrhundert wirklich greifen können. Wie so oft ist das Zeitalter der Industrialisierung hier prägend. Menschen (nicht alle) haben nun Freizeit (neben ihrer Arbeitszeit), die irgendwie gefüllt werden soll. Nicht mit Arbeit. Es entstehen Tennisclubs, Fußball- und Wandervereine und etliches mehr. Und man geht spazieren, flanieren. Auf Boulevards, baumbestanden und beschattet, in Grünanlagen mit exotischen Gewächsen – im öffentlichen Raum eben. Nicht mehr nur der Marktplatz, wo man beim Wocheneinkauf ein kurzes Pläuschchen hält. 

 

Und somit gewinnt dieser Raum auch an Bedeutung. Wird ja auch mehr genutzt. Und beachtet. Speziell in den letzten fünfzig bis siebzig Jahren wird er verstärkt für „künstlerische Eingriffe in den Stadtraum“[1] genutzt, also jegliche Art von Bildwerk hier eingebracht. 

 

Stein des Anstoßes

Kunst sollte und soll hier (mehr) Aufmerksamkeit erfahren. Und ja, sie will und soll durchaus auch provozieren. Zumindest, indem sie unsere Sehgewohnheiten[2] unterbricht, uns anspricht – ob positiv oder negativ ist dabei zunächst gleichgültig.

 

Aber das war ja auch schon der Anspruch, den ein Herrscher (oder seine Nachfahren) gehabt hat, wenn er viel Geld für ein edles Bronzeross mit sich selbst im prächtigen Gewand, den Feldherrenstab schwingend, ausgegeben hat. Sehen und Gesehen werden lautet(e) die Devise. Seit den 1950er Jahren wird immer mehr Kunst öffentlich zugänglich gemacht. So ein bisschen auch aus einem „Bildungsanspruch“ heraus. Ist ja auch ok. Und genauso ok ist es, wenn wir das nicht alles so doll finden. Müssen wir ja auch nicht! Aber hinschauen könnte sich ja vielleicht doch lohnen. So, und dann sind wir wieder bei dem „mit offenen Augen durch die Welt gehen und neugierig sein/bleiben“-Thema.

 

Reviermarkierungen

Manch öffentliches Kunstwerk erhält wenig Beachtung, wird vielleicht von Tante Ernas Dackel angepinkelt oder erlebt an Silvester eine kleine Sektdusche – beides verdunstet, mit in der Regel keinem oder kaum sichtbarem Schaden. 

 

Manches wird vielleicht auch kaum beachtet, weil wir in unserem Alltag ohnehin unter einer Reizüberflutung leiden, viele Bilder sekündlich auf uns einprasseln und wir manche Eindrücke daher gar nicht mehr bewusst wahrnehmen weil wir das Überangebot nicht verarbeiten können (oder wollen). Vielleicht lohnt es sich tatsächlich, mal etwas „Slow-Art“ zu betreiben: bewusst hinschauen, anschauen, neugierig sein. Mit offenen Augen durch den Alltag gehen...

 

Andere Kunstwerke sind Zielscheibe von Farbdosen und Eddings, werden besprüht, bekritzelt, beschmiert. Zurückerobert? Nach dem Motto: „Wenn du mir vor die Nase gesetzt wirst, dann wehre ich mich gegen dich?“ 

 

Wir erleben Attacken auf und gegen Kunstwerke gar nicht so selten. Kunstvandalismus. So hat zum Beispiel im September 2019 ein Unbekannter ein Teppichmesser im Centre Pompidou in Paris gegen Werke von Daniel Buren eingesetzt. Sie zerstört. 

Rembrandts Nachtwache war schon öfter Oper von Angriffen, ebenso die Mona Lisa. Auch Michelangelos Pietà war schon Hammerschlägen ausgesetzt, die nicht vom Meister selbst ausgeführt wurden und große Teile der Schulter und des Gesichts Mariens beschädigten. 

 

So mancher Täter landete nach der Attacke in psychiatrischer Behandlung. Manche gaben als Grund für ihre Tat das Bedürfnis, sich wehren zu müssen, an. 

 

Nein, der Einsatz von Edding und Sprühdose hat  - in der Regel – mit dieser Art Vandalismus nichts zu tun. Aber vielleicht ein bisschen mit „Revier markieren“...

 

Was sagt die Künstlerin, der Künstler?

Bei einem der letzten Walk’n Talks[3] kam der Gedanke auf, dass durch diese Eingriffe das Werk lebendig wird. Mit dem Stadtraum, der Umgebung verwächst. Sich anpasst, einfügt und mit der Zeit verändert. Den „Fremdkörperstatus“ verliert und zum Alltag wird. 


Bei manchen werden Farbe und Kaugummi in mühevoller Kleinarbeit Mal für Mal entfernt, der Originalzustand wiederhergestellt. Eine Sisyphos-Arbeit! Spannend wäre hier (soweit möglich) mit der Künstlerin, dem Künstler ins Gespräch, in den Austausch zu kommen, um zu erfahren, ob nicht vielleicht die Akklimatisation auch gewünscht wäre. Beuys zum Beispiel hat bei seinen Werken (ja, unter anderem die berühmte Fettecke), den Verfall mitgedacht, einkalkuliert. Und sich bewusst dagegen ausgesprochen, diesen (durch immer neues Fett oder Austauschen der Mäusekadaver) aufzuhalten. 

 

Vielleicht ist es genau das, was eigentlich von Anfang an gewünscht war? Ja klar, das ist natürlich nicht immer der Fall, aber vielleicht ist es eine Option, die wir auch einmal berücksichtigen können, wenn wir das nächste Mal eine „beschmierte“ Skulptur entdecken?

 

...ach und eigentlich geht es auch gar nicht immer nur um Plastiken und Skulpturen! Nein, Kunst im öffentlichen Raum ist selbstverständlich vielfältig: Fresken, Murals, Mosaike,... Es gibt die unterschiedlichsten Arten! Und es ist sehr spannend, diese – nicht nur in der Heimatstadt – zu entdecken. Leider gibt es bislang wenig Hinweise darauf in offiziellen Stadtführern, beziehungsweise die Literaturlage generell ist sehr spärlich – aber hier hilft es tatsächlich sehenden Auges zu wandeln, neugierig zu sein. 

 

Das gilt im Übrigen auch für den Umgang mit der Kunst (nicht nur im öffentlichen Raum). Einfach mal unvoreingenommen anschauen. Vielleicht auch mal was Nachlesen. Sich austauschen mit Bekannten, Verwandten, Freunden. Nicht immer ist der Haufen Schrott eine Angelegenheit für den Müll! Und Vielfalt bereichert auch hier unseren Alltag. Das kann Kunst. Und nicht weg!



[1] www.branchenbuch-kunst-kultur.de

[2] s. hierzu die Kulturlektüre vom 14.8.2020

[3] (Themen-)Spaziergänge zur Kunst in Freiburg, veranstaltet und durchgeführt von mir. Termine auf der Website www.nicoleklemens.de

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