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Do not touch the art

Let art touch you!

 

 

Die Schilder hängen an Wänden, sie kleben auf dem Boden, sie warnen eindrücklich: 

Do not touch the art! 

Bitte die Kunst nicht berühren!

Wagt man es dennoch, etwas näher an ein Gemälde, eine Skulptur heranzutreten, piepst es schrill und unverzüglich nähert sich uns ein eifriger Museumsmitarbeiter. Schnell wieder zurück, schnell wieder hinter die Linie – Abstand wahren.

 

Und eigentlich wollten wir doch nur sehen, ob der Farbauftrag wirklich so dick ist, wie er scheint. Ob da wirklich ein Loch unter der Bartlocke des Philosophen aus Marmor ist. 

Und – ach, wir gern hätten wir die raue Bronzeoberfläche berührt. Wie fühlt sich das an? Ist der Po aus Stein der Aphrodite wirklich so glatt poliert? 

 

Wie gerne möchten wir die Kunst mit allen Sinnen genießen! Anfassen, nicht nur sehen. Warum darf man das eigentlich nicht? 

Naja, ich spreche mal in Floskeln: Wenn das jeder machen würde.

Ich denke da immer an den Bauch des Buddha, den wir bei unserem Besuch in Japan gesehen haben. Es heißt, wer den Bauch rubbelt, wird reich. Also stürzen die Besucher des Tempels zu genau diesem Buddha und rubbeln eifrig an ihm herum. Mittlerweile ist es gar nicht mehr schwierig, auch ohne Hinweis zu wissen, was man tun soll: die polierte Stelle spricht eindeutig für sich. 

Auf der anderen Seite steht diese Stelle aber auch für die Schädigung, die die Skulptur an dieser Stelle erfahren hat. Bei Bronze vielleicht nicht so stark wie bei empfindlicheren Materialien. Trotzdem vorhanden. 

 

Anderes Beispiel: Pompeji und seine wunderbaren Mosaike. „Ach, nur ein kleines Steinchen, das sieht in meiner Vitrine zu Hause bestimmt schön aus und hier sind doch so viele, das fällt doch gar nicht auf...“ Nein, ein fehlendes Steinchen vielleicht nicht, aber bei tausenden von Besuchern täglich...? 

 

Also, irgendwie vielleicht sinnvoll, dass wir nicht alles anfassen. 

 

Auf der anderen Seite übt natürlich besonders das Verbotene seinen Reiz aus. Dann erst recht! 

 

Kunst hat es hier nicht leicht. Seit Urzeiten als handwerkliche Tätigkeit verstanden, von Handwerkern ausgeübt. Mühsam um Anerkennung ringend. Vor allem im wissenschaftlichen Kontext. Dann endlich: Man reiht sich ein in die „höheren Sphären“, begibt sich in den Elfenbeinturm. Und bleibt da (leider) hängen. Resultat: Museen haben zu hohe Schwellen, keiner geht hin, Kunst bekommt ein elitäres Etikett. 

 

Bleiben wir noch ein bisschen im Museum: Jahrzehnte- wenn nicht jahrhundertelang war hier die oberste Prämisse in der Vermittlung die Belehrung. 

„Hier sehen Sie...“ 

„Wie Sie sehen nicht? Müssen Sie aber!“

Eifrig werden Schilder gelesen, bevor das eigentliche Kunstwerk betrachtet wird. Saaltexte in epischer Länge machen jedem das Leben schwer, der die Lesebrille vergessen hat und laaaaaangweilig sind sie noch dazu. Schweigend wandernd man durch die Hallen. Jeder wird mit verachtenden Blicken gestraft, der es wagt, auch nur laut zu seufzen! Das tut man nicht. Solche Museumsbesuche sind grausam. Nicht nur für Kinder. Das macht doch wirklich keinen Spaß! 

 

Diese Praxis wird leider an manchen Orten immer noch gelebt. Zum Glück gibt es jedoch auch gegenteilige Beispiele - wo Museum wirklich Spaß macht, zum Entdecken einlädt und alles andere als langweilig ist. Die Vermittlung hat in den vergangenen Jahren eine Veränderung erfahren – jetzt wäre es noch schön, wenn das möglichst viele mitbekommen! Ein tolles Beispiel für eine lebendige Vermittlung findet im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe statt oder auch in der Papiermühle in Basel. (Ja, zum Glück auch noch an anderen Orten, ich habe nur diese beiden Beispiele herausgegriffen.) 

 

Weg vom Belehren, hin zum eigenen Erleben.

 

Kommen wir noch auf einen anderen Aspekt zu sprechen: unser Hirn. Wir leben in einer Gesellschaft, die unheimlich naturwissenschaftlich geprägt ist. Die davon lebt, Lösungen zu finden, die sich nach- und beweisen lassen. Rational soll alles sein, berechenbar. „Wenn, dann...“ In unserer westlichen Welt wird meist die linke Gehirnhälfte sehr viel stärker gefordert als die rechte. Logisch-analytische Denkprozesse stehen im Vordergrund. Schon in der Schule fing es bei den meisten so an – und ist heute häufig noch immer genauso: Mathe, Biologie, Chemie – wichtig ohne Zweifel. Kunst, Sport, Musik? Ach, das ist doch nicht so wichtig. Ein Hobby vielleicht mehr nicht! 

 

Doch gerade diese (Schul-)Fächer trainieren die rechte Gehirnhälfte. Die kreative, emotionale und intuitive Seite. Und schaffen so einen Ausgleich zu dem streng rationalen. Wichtig ist der Ausgleich zwischen beiden Heimsphären, damit wir das volle Potential ausschöpfen können. 

 

Übrigens ganz wichtig auch in unserer „verkopften“ Gesellschaft: ab und zu mal den kreativen Anteil durchbrechen lassen. „Denken wie ein Künstler“. Vielen Unternehmen - in verfahrenen Situationen, bei schwierigen Entscheidungen – wäre (leichter) geholfen, wenn sie mit einem kreativen Berater zusammenarbeiten würden. Oft stecken die Ideen nicht in den Zahlen...

 

Übrigens ist vielleicht ein Problem der Kunst, dass man sie nicht verstehen kann. Nicht erklären. Eben genau dieses logisch-rationale System an ihr scheitert. Zu dumm! Jetzt muss jeder selber sehen. Fühlen. Denken.

 

Do not touch the art. 

Let art touch you!

 

Sich durch die Kunst berühren lassen. 

Funktioniert. 

Nicht immer. 

Nicht auf Knopfdruck. 

Nicht bei jedem Werk. 

Aber einen Versuch ist es wert!

Das Schöne: es gibt kein „falsch“.

 

So, und wie bekommen wir jetzt mehr Menschen ins Museum, auch wenn man dort nichts anfassen darf, sondern angefasst (berührt) wird? Wie ich in einem meiner letzten Artikel zu der Ausstellung „Umbruch“ in der Kunsthalle Mannheim geschrieben habe, ist dies auch ein Anliegen des neuen Direktors Johan Holten. Mehr Menschen ins Museum zu holen. Kommen zu lassen. Alle. 

 

Versuche werden immer wieder durchgeführt. In allen möglichen Varianten. 

 

Vielleicht gelingt es über den kostenfreien Eintritt? Sind Museen zu teuer? Kosten Ausstellungsbesuche zu viel Geld? 

 

Schulklassen werden eingeladen. Kommen die Kinder anschließend mit ihren Eltern auch ins Museum? Kommen sie überhaupt einmal wieder?

 

Die Vermittlung wird dialogischer gestaltet. Interaktiver. Prima, aber bevor Vermittlung stattfinden kann, muss erstmal ein Besucher da sein, der sie annimmt!

 

Wo ist dieses „abholen wo das Publikum steht“? Auf der Straße? In der Universität? Im Fernsehen? In der Schule?

 

Die Kunsthalle Karlsruhe hat gerade ein interessantes Projekt gestartet. „Art of“ versucht es über eine Website. Dort sollen neue Möglichkeiten im Umgang mit den Kunstwerken der Kunsthalle eröffnet werden. Ungewöhnlich. Spielerisch. Digital. Zugänglich auf einer separaten Website – bewusst nicht über die bestehende der Kunsthalle. Es werden drei Perspektiven eröffnet: 

·      Art of Wasting Time

·      Art of Creating Stuff

·      Art of Chit Chatting

 

Gefördert wird die neue Strategie vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg im Rahmen des Programms „Digitale Wege ins Museum II“. Und hier kann man tatsächlich dann auch Kunst anfassen. Und vielleicht berührt sie den Betrachter dann auch. 

 

Ausprobieren dringend empfohlen: Let art touch you!

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