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Quadratisch, praktisch – aber auch gut?  

 

Vor Kurzen beim Frühstück haben wir uns gefragt, warum der Wurstaufschnitt in der Regel eine runde, der Käse hingegen eine eckige Form hat. Also die Scheiben. Wir lassen jetzt bitte die Diskussion darüber, ob wir beim Frühstück kein anderes Gesprächsthema haben, mal außen vor... 

 

Also: Wurst rund, Käse eckig. 

Bei der Wurst ok, da kommt die Form vom (ursprünglich) verwendeten Darm des Tieres in den die entsprechende Grundmasse gefüllt wird. Endresultat: rund. Beim Käse: Laib rund, Scheibe eckig. Also sind die jeweiligen Formen historisch bedingt. Ok. So weit, so gut. 

 

Der sich daraus ergebende Gedanke war dann, wie viele Quadrate es wiederum als Verpackungen gibt. Die (übrigens ja runde!) Wurst kommt in die eckige Kunststoffverpackung. Viele dieser Kunststoffverpackungen kommen in einen Karton. Dieser Karton wiederum kommt mit mehreren anderen Kartons zusammen auf eine Palette. Viele Paletten füllen einen Container. Diese stehen in großer Anzahl zum Beispiel auf einem Schiff. 

Zwei Brüche gibt es in der Geschichte:

a) die runde Wurst in der eckigen Verpackung. 

b) die eckigen Container auf einem nicht-eckigen Schiff.

 

Abgesehen von diesen zwei Brüchen: Eckig. Quadratisch. Praktisch. Stapelbar. Übereinander. Nebeneinander. 

 

Künstler beginnen sich im 20. Jahrhundert auch für das Quadrat zu interessieren. Kasimir Malewitsch (1878-1935) zum Beispiel. „Das schwarze Quadrat auf weißem Grund“ wurde 1915 zum ersten Mal auf einer Ausstellung gezeigt. (Genauer gesagt, hat Malewitsch sogar mehrere Gemälde mit schwarzen Quadraten angefertigt – aber das ist hier tatsächlich nicht von Bedeutung.) Das „schwarze Quadrat auf weißem Grund“ ist tatsächlich nicht mehr und nicht weniger. Ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund. Wer es sich nicht vorstellen kann, möge Dr. Google um Rat fragen! 

 

In der Ausstellung „0,10“ in Sankt Petersburg 1915 wurde dieses ca. 80 x 80 cm große Werk dann wie eine Ikone im Ausstellungsraum präsentiert. Mit leicht nach vorn geneigter Bildfläche an der höchsten Stelle im Raum hängend. Im Schwarzwaldhaus würde man Herrgottswinkel dazu sagen. Also die Zimmerecke im Haus gegenüber dem Ofen, in der das Kruzifix hängt. Meist fällt der Blick des Eintretenden als erstes dort hin. Auf die Ikone. 

 

Malewitsch wollte mit diesem Werk die Kunst von ihrem Ballast befreien. Die „Dinge“ loswerden. Zurück zum Wesentlichen. Dem Quadrat. Von ihm als die archetypische Form angesehen. Sozusagen „back to the roots“. Und um wirklich gegenstandslos zu arbeiten, verwendet er die Farben schwarz und weiß. 

 

[An dieser Stelle ein kleiner Exkurs: gegenstandslos vs. abstrakt. Kasimir Malewitsch war ein Maler des Futurismus oder auch Suprematismus, eine Richtung der Moderne, die ihre Wurzeln in Russland hat. Hier ging es darum, alles Gegenständliche außen vor zu lassen, die Kunst also aus sich heraus zu entwickeln. Keinerlei Bezüge zu schon existierendem herzustellen. Abstrakt hingegen tut genau dies: es zeigt eine veränderte Form eines Gegenstandes.

 

Hierzu vielleicht ein Beispiel, bzw. eine Eselsbrücke, die ich immer wieder gerne bemühe, um den Unterschied deutlich zu machen: Aus einem Apfel kann ich Apfelsaft machen. Der ist dann das Abstrakt des Apfels: schmeckt noch so, sieht aber anders aus. Wenn ich im Labor aus unterschiedlichen Zutaten einen Saft herstelle und der schmeckt hinterher nach Apfel, dann hat das mit dem Ursprung (=Apfel) nichts mehr zu tun. In unserem Fall wäre das dann also die gegenstandlose Kunst.

 

Also: 

Abstrakt = vom Gegenstand ausgehend, sozusagen „heruntergebrochen“.

Gegenstandslos = aus Zutaten zusammengesetzt, etwas Neues entsteht.]

 

Zurück zu Malewitsch und den Farben. Schwarz und Weiß. Gerne auch als die „Un-Farben“ bezeichnet. Also eigentlich nichts. Das wäre eine mögliche Interpretation. Dann hätten wir ein archetypisches Nichts auf keinem Grund. 

Oder aber wir sehen Schwarz und Weiß jeweils als die Summe aller Farben. Im Falle von Schwarz die Summe aller Körperfarben – beim Weiß die Summe aller Lichtfarben. Dann hätten wir quasi alles in ihnen vereint und in diese archetypische Form hineingelegt. Und das Bild wäre mit einmal bunt, weil es ja alle Farben enthält. 

 

Für den Fall, dass das Folgen langsam schwierig wird: ist gut, ich höre ja schon auf! Ist aber ein spannendes Thema, könnte man sich noch länger mit beschäftigen. Aber uns ging es ja hier nicht um die Farben, sondern um das Quadrat. 

 

Mit diesem hat sich auch Josef Albers (1888-1976) beschäftigt. Seines Zeichens ein Kunsttheoretiker, Pädagoge und Künstler der sog. Konkreten Kunst. In seiner Serie „Hommage to the Square“ nutzt er das Quadrat wiederum als Basis für sein Anliegen, die Wirkung und das Zusammenwirken von Farben darzustellen. Also den Beweis zu erbringen, dass Farben an sich und mit anderen und in anderen Zusammenhängen und für verschiedene Betrachter jeweils unterschiedlich wirken. Also eigentlich auch keine Huldigung an das Quadrat, sondern das Quadrat quasi als die neutralste Form verwendet um mit ihrer Hilfe etwas aufzuzeigen. 

 

Aber warum eigentlich schon wieder ein Quadrat? 

 

Schauen wir uns mal an, was ein Quadrat ist. (Vorsicht, ich betone ausdrücklich, dass ich Geisteswissenschaftlerin bin! Ich sehe also das Quadrat möglicherweise etwas unexakter als dies aus naturwissenschaftlicher Sicht der Fall wäre.) Ein Quadrat besteht aus vier gleich langen Seiten, vier Ecken, die vier Innenwinkel sind gleich und rechtwinklig. Ein Quadrat ist konstruiert. Es kommt so in der Natur nicht vor. 

 

Ah! Es kommt in der Natur nicht vor! Das ist es, was Malewitsch und Albers daran interessiert hat. Siehe abstrakt/gegenstandslos. Also, es ist keine natürlich Form – oder anders herum gesagt: natürliche Formen sind vieleckig, waben-oder rautenförmig, oval, rund, .... aber nicht quadratisch. Übrigens einer der Gründe, warum die Lehre der Anthroposophie von Rudolf Steiner zur Architektur eine recht eindeutige Meinung hat: Verzicht auf rechte Winkel und Quadrate! Stattdessen finden wir in der anthroposophischen Architektur gerundete Formen. Man könnte sie auch als organische Architektur bezeichnen. Der Natur nachempfunden. Vorbild: Goetheanum in Dornach bei Basel. 

 

Das ist aber so viel schwerer herzustellen! 

 

Schon komisch, oder? Das, was die Natur mit Leichtigkeit hinbekommt, fällt uns so schwer... Hinzukommt, dass wir mittlerweile seit Generationen von Menschen gewohnt sind, in Schachteln zu leben. Steht da plötzlich etwas, das nicht unseren Erfahrungen und den über Jahrhunderte geprägten „Normen“ entspricht, erscheint es uns recht seltsam. 

 

Kleiner Einwurf: Ist es nicht spannend, das ausgerechnet Außerirdische in runden Ufos anreisen sollen? 

 

Zurück zum Thema. Bauen in runden Formen ist also mühsam. Prägung durch das Quadrat. Unser gesamtes Proportionssystem geht zurück auf Quadrate, gerade Linien. Siehe da Vincis vitruvianischer Mensch, der goldene Schnitt, ... Natürliche, „schöne“ Proportionen – im Quadrat. 

 

Eben gerade habe ich gesagt, äh, geschrieben, „bauen in runden Formen ist mühsam“. Heute nicht mehr! Wir können 3D-Druck! Und damit sind uns Möglichkeiten gegeben, die bislang nicht so einfach umzusetzen waren. Wir können mehr Formen. Und leichter. Spannend wird sein, was das mit uns und unsere Umwelt macht. Bislang waren wir zum Beispiel im Karosseriebau auf Werkzeuge angewiesen, die uns gewisse Dimensionen vorgaben. Das ist durch den 3D-Druck überholt. Wir können also Form ganz neu denken! 

 

Hat das Quadrat damit ausgedient? Ist es eine „altmodische“ Form? 

 

Wir werden wohl in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Antworten auf diese Fragen erhalten. Spannend wird es auf alle Fälle.

 

...und zum Ausgangspunkt zurück: wer weiß, was demnächst auf dem Frühstückstisch liegt!

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