· 

Kopf lüften und lustwandeln

Der Blick aus dem Fenster macht richtig Lust, rauszugehen: Es hat gestern und heute (hier in Freiburg zumindest) richtig viel geschneit, die ganze Welt ist verzuckert und sieht wunderschön aus und zudem ist nun auch noch die Sonne herausgekommen. Perfektes Wetter, um vor die Tür zu gehen, den „Kopf zu lüften“!

 

Ich glaube, in den letzten Monaten sind sehr viele Menschen zum Spazierengehen gekommen, die sonst nicht (oder zumindest nicht so regelmäßig) zu Fuß unterwegs waren. Es zieht uns nach draußen - bei Wind und Wetter. 

 

Ein Privileg der Moderne übrigens, dieser Spaziergang. Es gibt ihn noch gar nicht sooooo lang. Also für uns „normale Bürger“. Der Adel, die gehobenen Gesellschaftsschichten des 16. oder 17. Jahrhunderts lustwandelten bereits durch ihre Gärten und Parks, hielten sich zum reinen Vergnügen draußen auf. Kein Wunder, die hatten ja auch nichts weiter zu tun! 

 

„Lustwandeln“ – tolles Wort, oder? Ich sammele ja mittlerweile solche selten genutzten Worte in einer kleinen Liste. Darin finden sich auch noch solche „vom Aussterben bedrohten“ Schätze wie „inkommodieren“ oder „Kokolores“... Müsste man viel öfters wieder verwenden, das wäre wirklich famos. 

 

Zurück zum Lustwandeln bzw. Spazierengehen. Das Wort stammt übrigens vom Lateinischen „spatium“ = Raum oder auch Zwischenraum ab – daraus dann „spatiari“ = mit gemessenen Schritten einhergehen abgeleitet und im Italienischen ist „spaziare“  das Umherschweifen...

 

Umherschweifen oder auch flanieren kann man natürlich nur, wenn man die Zeit dafür hat – so wie momentan gerade. Oder (zurück in der Geschichte) erst dann, wenn sich die feste Arbeitszeit entwickelt und im Unterschied dazu freie Zeit = Freizeit entsteht. Dann lustwandelt auch der normale Bürger zunehmend. Wir sind also im Zeitalter der Industriellen Revolution, in Europa so etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in England schon etwa 100 Jahre zuvor. (Wie gesagt, beim gehobenen Bürgertum war das Spazierengehen durchaus auch schon früher in Mode.) Das es aber im 19. Jahrhundert mehr und mehr zum Alltag wird, sieht man auch in der Malerei: das Motiv fängt ab den 1870ern an, sich zu häufen. 

 

1817 stand da noch Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ – im wahrsten Sinne des Wortes - etwas einsam auf den Felsen über den scheinbar unendlich dahinwabernden Nebelschwaden. Eine Figur, in Rückenansicht, fast zu elegant gekleidet für die unwirtliche Umgebung, in der sie sich befindet. Ein bisschen fragt man sich, wie er da hin gekommen ist, der feine Herr. Und vor allem was er da macht. Oder besser: was er vorhat. Lassen wir ihn mal da stehen und wandern weiter. 

 

Claude Monet präsentiert uns 1875 einen zauberhaften Frühlingsspaziergang. Luftig, leicht – man meint fast, die sanfte Brise selbst zu spüren, die die junge Dame (übrigens Monets Frau Camille) da umweht. Spürt, wie der Wind am Sonnenschirm zieht und zugleich die Sonnenstrahlen schon ein wenig Wärme verströmen. Mmmmmmh und  der Duft des Feldes, die Erde, die Blumen... Ach, das riecht doch wirklich nach Frühling! Und bringt mich zu einem literarischen Spaziergang: Goethe. Ostern. 

 

„Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,

Im Tale grünet Hoffnungsglück;...“[1]

 

Dazu passt auch der Spaziergang Auguste Renoirs.

 

„Zufrieden jauchzet groß und klein:

Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!“ 

 

Es wird natürlich noch mehr gegangen, August Macke spaziert, Hans Thoma schickt seinen Wanderer in den Schwarzwald. Auch Carl Spitzweg ist unterwegs. Und noch viele mehr... Dem können wir uns doch anschließen: raus geht’s! 



[1] Johann Wolfgang von Goethe, Faust I – „Vor dem Tor“ (1808)

Kommentar schreiben

Kommentare: 0