Vielleicht liegt es wirklich daran, dass man Dinge erst zu schätzen weiß, wenn man sie nicht mehr hat. Eventuell ist es auch die „mit dem Alter“ zunehmende Weisheit ;). Vielleicht ist es Fern- oder gar Heimweh?
Who knows.
Fakt ist (und Achtung, jetzt folgt die Liebeserklärung): Ich mag Kassel. Also die betongraue nordhessische Großstadt, eingebettet in das Grün der umgebenden Wälder und in die Geschichten der Brüder Grimm.
An dieser Stelle muss ich vielleicht ein bisschen ausholen: Es war einmal ein Wonneproppen, der an einem verschneiten Apriltag (ach, halt nein, geschneit hat es erst am Tag danach). Also noch mal: ...der an einem Apriltag vor x9e%3z Jahren das Licht der Welt in einem Krankenhaus der Stadt Kassel erblickte. Was damals noch keiner ahnen konnte: dieser Wonneproppen sollte sich später einmal dem Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Neueren und Neuesten Geschichte widmen. Sollte es an der guten nordhessischen Luft gelegen haben? An den vielen sonntäglichen Besuchen in der Gemäldegalerie Alte Meister bei den Herren mit den großen, steifen Kragen? Man weiß es nicht.
Lange Rede, kurzer Sinn: es zog mich zum Studium in die Ferne und ein Tritt in die berühmten Freiburger Bächle[1] sorgte dafür, dass ich im warmen Südwesten Deutschlands hängen geblieben bin. Glücklich hängen geblieben!
Kassel war für mich dann immer zwar „die Stadt, in der ich geboren wurde“, aber ebenso auch nicht unbedingt „the place to be“.[2] Im Gegenteil, es erschien mir in meiner Erinnerung wirklich immer sehr grau. Und eben „betonlastig“. Und nicht besonders attraktiv.
So und um den Bogen nun zu bekommen: in der vergangenen Woche habe ich ja über meine Vorfreude auf das Kunstjahr etc. geschrieben (das steht hier auch noch einmal zum Nachlesen) und hatte dann am Dienstag ein wunderbares Online-Seminar zu „Filz, Fett, Hase. Beuys“ – unter anderem, da 2021 ja Beuys-Jahr[3] ist. So im Gespräch über Beuys und sein Werk ging es unter anderem darum, wie er mit seiner Aktion in der Düsseldorfer Galerie Schmela dem toten Hasen die Bilder erklären wollte und den Kunstbegriff maßgeblich auf den Kopf gestellt hat. Performances, Happenings, Fluxus und die kritische Haltung gegenüber dem etablierten Kunstbetrieb – Joseph Beuys bewegte etwas und hat in der Kunstgeschichte seine Spuren hinterlassen. Ja, ja, ich kann das Stöhnen quasi schon hören und weiß, dass sich manche wünschen, der Herr mit Filzhut hätte sich andere Dinge ausgedacht als Honigpumpen, Fettecken und Filzbündel...
Sei’s drum.
In Kassel hat Beuys auch seine Spuren hinterlassen. Natürlich durch die Beteiligungen an den verschiedenen documentas und eben hier vielleicht am deutlichsten durch die Aktion der „7000 Eichen“, bei der 1982 anlässlich der documenta 7 zunächst 7000 Basaltstelen mitten in der Stadt aufgeschüttet waren. Diese Stelen wurden peu à peu abgetragen und jeweils mit einer Eiche an ihrer Seite in und um Kassel aufgestellt. Fünf Jahre hat es gedauert, bis der Steinhaufen auf dem Friedrichsplatz verarbeitet war: Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung war der Slogan.
Nicht allzu lange vorher bin ich auf die Welt gekommen und habe – nö, nicht bewusst, aber immer so nebenbei – als Kind oft den Namen Beuys gehört, die Basaltstelen und Eichen gesehen und angefangen, mich dafür zu interessieren. (Von einem Kunstgeschichtsstudium habe ich damals noch nicht einmal gewusst, dass es das gibt.) Und für mich gehören Beuys und Kassel irgendwie zusammen. Auch wenn der Bezug zu Krefeld und Düsseldorf beim Künstler selbst natürlich viel größer ist. Für mich passen die beiden aber auch zueinander: ein bisschen spröde, mit vielen Geschichten und auch dem ein oder anderen Märchen, auf alle Fälle spannend und den zweiten Blick durchaus lohnend!
Apropos „zweiter Blick“: Heute und mit zeitlichem und räumlichem Abstand mag ich auch das prägende Betongrau an Kassel, finde, die in den 1950er Jahren entstandenen Gebäude an Treppenstraße, Königstraße und wie sie alle heißen, haben ihren Reiz. Ebenso die barocken Hinterlassenschaften derer von Hessen-Kassel. Und natürlich die Brüder Grimm, mit deren Märchen die ganze Region verbunden ist. Und jedes Mal, wenn ich mit dem Zug in Richtung Kassel-Wilhelmshöhe fahre oder mich auf der Autobahn durch das nordhessische Gebirge schlängele, verrenke ich mir schier den Hals, um den „Herrn Kulles“ – die über acht Meter große Kupferfigur des Herkules – über der Stadt thronen zu sehen.
...it must be love...
P.S.: Für nächstes Jahr ist die documenta fifteen in Kassel geplant – count me in!
[1] Für alle, die nicht wissen, was dies zu bedeuten hat: Es heißt, wer in Freiburg in ein Bächle „neidabbt“ muss einen Freiburger, respektive eine Freiburgerin heiraten. Ich hab das absichtlich am Tag unserer Hochzeit nachgeholt ;)
[2] Korrekterweise muss ich hier einfügen, dass ich wirklich in Kassel nur geboren wurde, aufgewachsen bin ich in den beschaulichen Fachwerkstädten Melsungen und Witzenhausen – ca. 40 min. Autofahrt von Kassel entfernt. Später habe ich allerdings eine Ausbildung zur Werbetechnikerin in Kassel absolviert.
[3] Joseph Beuys wurde am 12. Mai 1921 geboren und wäre somit 2021 100 Jahre alt geworden, sein Todestag jährte sich am 23. Januar 1986 zum 35. Mal.
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