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Dem Holz beim Biegen zuschauen. oder: Handarbeit braucht Zeit

Dem Holz beim Biegen zuschauen.

oder: Handarbeit braucht Zeit

 

In den letzten Wochen und Monaten war bei mir der (große) Themenbereich rund um Künstliche Intelligenz, Roboter im weitesten Sinne und deren Einsatz, Quantenphysik, ach und so vieles mehr sehr präsent. (Spoiler: das Thema wird mich vermutlich auch noch eine ganze Weile beschäftigen, weil ich es ungeheuer spannend und vielfältig und... Nein, ich muss mich jetzt bremsen: ich wollte hier auf etwas ganz anderes raus. Aber ich glaube, meine Begeisterung ist erkennbar!) Also, das Themenfeld war (und ist) sehr „da“. 

 

Umso spannender war es aber nun, aus dieser sehr technologischen, fortschrittsorientierten Gedankenwelt einmal kurz auszubrechen und etwas ganz anderes zu sehen. Handarbeit, nämlich, genauer gesagt sogar eine (zumindest in weiten Teilen) Manufaktur. Wie ich ja schon einmal geschrieben haben, fallen viele Dinge erst dann so richtig auf, wenn sie im Kontrast mit etwas stehen (siehe mein Text „Ohne Lücken wäre das Zebra ein Pferd“). Und so war es auch hier: vermutlich gerade weil ich so fokussiert auf „künstliche Welten“ war, fiel mir der Unterschied zur realen, ganz bodenständigen Welt umso mehr auf. Ach so, ich sollte vielleicht ganz kurz auch mal erwähnen, um was es geht! Ich war schon so in Gedanken unterwegs – Entschuldigung. Am vergangenen Freitag war ich mit dem Lehrgang Einrichtungsgestaltung der HFTG Zug unterwegs zur „ältesten Stuhl- und Tischmanufaktur der Schweiz“ – so steht es jedenfalls auf der Website von horgenglarus. (Kurzer Einwurf an dieser Stelle: das, was ich im Folgenden schreibe, mag sich wie Werbung anhören, ist aber keine und wenn es doch so empfunden wird: ich werde dafür nicht bezahlt, ich tue es aus eigener Überzeugung und ganz freiwillig. Wer es freiwillig nicht lesen möchte, dem ist jetzt die Chance gegeben, aus dem Text auszusteigen...)

 

Noch da? 

Sicher?

Hihihi, ok, dann geht es jetzt hier weiter: also, ich war wie schon gesagt, in Glarus, um dort einen Blick hinter die Kulissen eines Unternehmens zu werfen, das schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Möbel herstellt und damit auf eine lange Firmentradition zurückblicken kann. So weit, so gewöhnlich, denn das ist ja bei anderen durchaus auch der Fall. Das Besondere bei horgenglarus ist jedoch die angewendete Technik des Bugholzverfahrens. Bugholz... was? Na ja, im Grunde genommen geht es darum, Holz zu biegen. Hört sich komisch an, ist aber so! Besonders gut geht das, wenn man zum Beispiel einen jungen Weidenzweig vom Baum pflückt, den kann man sehr gut biegen. Der bleibt aber nicht unbedingt in der Form, in die man ihn gebogen hat. Erst, wenn man gaaaaaaanz lange wartet und viel Geduld hat, trocknet das Holz und bleibt - mit etwas Glück – auch so rund, wie man es gerne hätte. Oder auch nicht...

 

Dieses Bugholzverfahren als Technik im Möbelbau hat Michael Thonet ab Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt und schlussendlich perfektioniert. Entstanden ist so unter anderem der legendäre Stuhl #14, auch „Caféhausstuhl“ genannt (Über Stühle und das Sitzen habe ich mich schon einmal in dem Artikel „Bitte Platz nehmen“ ausgelassen.) Natürlich hat Thonet nicht alle Weidenbäume geplündert, sondern er hat massives Holz verwendet und damit er dies biegen konnte, musste es mittels Wasserdampf geschmeidig gemacht werden. Also: Michael Thonet ist der Urvater des Bugholzmöbels und diese werden bis heute – nee, nicht in Glarus in der Schweiz, sondern in Frankenberg in Deutschland gefertigt. 

 

Ich war – wie schon oben erwähnt – ja bei horgenglarus. Vielleicht an dieser Stelle ganz kurz ein Wort zum Namen: der entstand, weil das Unternehmen 1880 in Horgen gegründet und etwa zwanzig Jahre später ein weiterer Standort in Glarus eröffnet wurde. Beide Standorte zusammen = Name. Heute existiert nur noch der Standort in Glarus und man kann dort sowohl die Ausstellung der Möbelkollektion anschauen, als auch an (öffentlichen) Betriebsbesichtigungen teilnehmen. Die dauert insgesamt zwei Stunden und man erfährt wirklich einiges, nicht nur über das Unternehmen, sondern auch über die angewendete Technik, die nämlich genau die ist, die Thonet entwickelt hat. (Kleiner Einwurf: Das Verfahren selbst ist von Michael Thonet am 10. Juli 1856 patentiert worden, aber es wurde in den 1860er Jahren eine Kampagne gegen Thonet betrieben, dass er die Patentrecht zurücknehmen sollte. 1869 tut er es wirklich: er verzichtet auf das Recht am Verfahren und fortan konnten auch andere Unternehmen diese Technik verwenden.)

 

Wenn man bei horgenglarus auf den Hof fährt, dann denkt man zunächst, man ist falsch abgebogen. Es sieht alles so gar nicht nach einem großen Unternehmen aus. Und auch der Schriftzug ist kaum auffällig an der Einfahrt bzw. am Firmengebäude angebracht. Keine große Leuchtreklame, keine auffälligen Wegweiser – und: kaum Parkplätze. Keine Laderampe, an der die großen Lkw Schlange stehen und die gefertigten Möbel abtransportieren. Alles sieht eher aus wie ein Wohnhaus. Ein altes Wohnhaus. Auch nach dem Öffnen der Tür (eine ganz normale Eingangstür, kein Portal, keine moderne, sanft aufgleitende Glasschiebetür) fühlt man sich noch etwas unsicher, ob man am richtigen Ort ist. 

 

Über eine Holztreppe mit ausgetretenen Stufen gelangt man in das zweite Geschoss, in dem sich die Ausstellung befindet und hier fällt dann der Blick auch gleich auf die Kollektion. Puh, doch richtig! Der eigentliche Betrieb befindet sich über mehrere Gebäude verteilt, es geht immer noch eine Treppe hoch. Oder runter. Um noch eine Ecke. Durch noch ein Tür. Im Zentrum steht der Hof, auf dem auch das Holz gelagert wird. Einheimische Hölzer werden für die Möbel verwendet, sie trocknen lange in unterschiedlichen Bearbeitungsstufen auf dem Hof unter Wellblechdächern. Noch immer ist der Eindruck der umgebenden Berge imposanter als der Ort des Geschehens. Aber dann geht eine weitere Tür auf und man landet im Herzen der Manufaktur. Hier passiert die Magie. Das Biegen. Der Raum ist angefüllt mit Ländlermusik, es ist warm und riecht angenehm nach Holz. In einem gut verschlossenem „Tank“ lagern mehrere Stangen Holz, etwa 2,5m lang mit einer Kantenlänge von sechs auf vier Zentimeter. Im Tank werden sie warm und feucht gehalten – optimal temperiert für den nun folgenden Arbeitsschritt. Die Stange wird eingespannt in eine Vorrichtung und dann passiert es: um eine metallene Schnecke wird mit einer unglaublichen Leichtigkeit das Holz gewickelt. Scheinbar mühelos. Nun ganz zum Schluss quietscht es kurz. Oder war das die Biegemaschine? 

 

Fertig gebogen darf das Holz mit und in der Form noch für ein paar Tage in die Sauna. Bei 70 Grad trocknen. Sehr warm ist es da. Und feucht. Subtropisch. Nach diesem Trocknungsprozess hat das Holz seine Form. Und bleibt in dieser Form. Kann nicht so einfach von Hand wieder zurückgebogen werden. Selbst unter größter Anstrengung und viel Gewicht nicht. Sitzflächen, Rückenlehnen, Stuhlbeine,... Alles wird hier gebogen. Und getrocknet. 

 

Dann weiter verarbeitet: die endgültigen Formen mit der CNC-Fräse (ja dann doch moderne Technologie) herausgearbeitet. Geschliffen bis das Holz streichelzart unter den Händen ist. Zusammengebaut. In Handarbeit. Jedes Stück einzeln. Die fertigen Möbelstücke werden lackiert oder geölt oder gebeizt – je nach Modell. Manche Stühle werden mit Geflecht versehen. Andere erhalten eine Polsterung mit Lederbezug. Auch hier: Handarbeit. 

 

Wohltuend bodenständig. Keine Massenware. Und wenn größere Mengen benötigt werden, z.B. für die Einrichtung eines ganzen Restaurants, einer Kirche, dann dauert das eben. Handarbeit braucht Zeit. Und somit geht es hier doch wieder ein bisschen in eine andere Richtung als bei Michael Thonet, der genau die Vereinfachung, die serielle Produktion mit dem Bugholzverfahren erreichen wollte...

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