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Eiscreme ist auch ein Genuss ...und schmilzt trotzdem  

Häufig vergleiche ich Kunstwerke – vor allem Gemälde – mit Menschen. Oh, nein, bitte, es besteht kein Grund, sich um meinen Gesundheitszustand Sorgen zu machen! Warum ich dies tue, lässt sich tatsächlich sehr plausibel erläutern: Ich finde es immer sehr schwierig, bei einem Museumsbesuch, einem Ausstellungsbesuch „alles“ sehen zu wollen. Das mag ja bei kleineren Ausstellungen, kleineren Museen noch irgendwie funktionieren. Aber: schon mal im Louvre gewesen? Ein Ding der Unmöglichkeit, an einem Tag durch sämtliche Räume zu wandern! (Nur mal so am Rande: die Fläche entspricht ungefähr 30 Fußballfeldern! 30! Das sind ungefähr 210.00 m2. 

 

Ausgestellt sind dort 38.000 Werke – das sind wiederum nicht mal 10% des Bestandes, die der Louvre besitzt! Irgendjemand hat sich mal den Spaß gemacht, auszurechen, wie lange man brauchen würde, wenn man sich alles anschauen wollte. Also: rechnet man 30 Sekunden durchschnittlich pro Kunstwerk mal 38.000, dann sind es 1.140.000 Sekunden, die man dort verbringen muss, um alles angeschaut zu haben. Das sind 19.000 Minuten oder 317 Stunden – bei einem Besuch von acht Stunden pro Tag würde man also fast 40 Tage brauchen, bis man durch ist! Ganz schön viel Zeit...

 

Gut, aber zurück aus der Welt der Mathematik zu meinem Gesundheitszustand. Äh, nein, zu meinem Vergleich am Anfang dieses Artikels natürlich. Die Idee eines Museums- oder Ausstellungsbesuchs kann es also ja eigentlich nicht sein, „alles“ sehen zu wollen. Mal von der Zeit abgesehen: das kann sich doch sowieso keiner alles merken, oder?! Und ich finde auch, ab einem gewissen Punkt, setzt eine Reizüberflutung ein. Man kann gar nicht noch mehr sehen. Also zumindest nicht so, dass der Genuss auch nicht zu kurz kommt. 

 

Deshalb mein Vorschlag: gar nicht erst den Anspruch haben, alles sehen zu können (oder wollen). Ich vergleiche den Museums- und/oder Ausstellungsbesuch gerne mit einem Apéro oder einer Party. Viele Personen sind eingeladen, noch mehr sind erschienen. Wir selbst kommen etwas verspätet, hatten Mühe, den richtigen Eingang zu finden und dann hat auf unser Klingeln hin nicht einmal jemand geöffnet... Kurzum, wir sind da, wir sind drin. Mittendrin. Musik spielt, irgendjemand drückt uns ein kaltes Getränk in die Hand. Erst einmal orientieren. Ahhhhh! Ein bekanntes Gesicht. Hingehen, kurzer Smalltalk. Alles gut. Danke! Wusstest du, dass XY auch da ist? Nein! Ach, da ist er/sie ja. Weitergehen zu XY. Hier bleiben wir etwas länger, es gibt ja soooooo viel zu erzählen... Und so geht es den ganzen Abend. Zwischendurch Getränk auffrischen. Luft schnappen und was man eben so macht. 

 

Am Ende schwirrt uns der Kopf.

 

Hinsetzen. Zu Hause vielleicht. Nachdenken: wer war da alles, was haben wir geredet, Informationen verdauen, verarbeiten, verknüpfen, ver... Eingeschlafen. 

 

Fest steht: mit allen unterhalten haben wir uns nicht. Geht ja auch nicht. Zu viele. Und: will ich das überhaupt?

 

Also: warum soll ich denn dann bei einem Besuch im Museum das Bedürfnis verspüren, alles sehen zu wollen? Und wie gesagt: Reizüberflutung!

 

Ich schlage also vor, es in einer Ausstellung genauso zu handhaben, wie beim oben angeführten Event: treiben lassen. Kurze Unterhaltungen. Vielleicht auch mal nur ein SmallTalk. Und falls man sich nichts zu sagen hat: ok – weiter geht’s! Nicht alle Hände schütteln (ach halt, macht man eh nicht mehr). Und eventuell eher da länger verweilen, wo es viel auszutauschen gibt. Nicht da, wo man auf Krampf ein Thema finden muss! Ja, das kann auch bedeuten, dass man eine Ausstellung nach kurzer Zeit wieder verlässt. Keine Gesprächsthemen, keine Sympathie – so what. Es gibt keine Normen und Kriterien à la: das müssen wir jetzt aber machen. Und das muss 2 Stunden 27 Minuten dauern. 

 

Es soll Spaß machen! Ein Genuss sein! Nothing more, nothing less. Eiscreme ist auch ein Genuss und schmilzt trotzdem. 

 

Vielleicht ist die Idee also wirklich eher die eines „Gesprächs“. Mit der Kunst. Kürzer. Länger. Gar nicht. Alles ist ok. Pssst: und wenn die Leute komisch schauen, dann kann es sein, das Werk hat geantwortet. Oder man selbst zu laut gegrüßt!

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