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Reisen. Oder: zu Hause ist ja auch ganz schön.  

 

Ich bin gern unterwegs. 

Ich bin auch gern zu Hause, ich mag unser Zuhause, ich mag Freiburg. 

Aber ich bin auch gern unterwegs. Vor allem bin ich gern in Städten unterwegs. Erkunde die Strassen und Gassen, nehme die Atmosphäre auf. Sitze im Café und schaue. Einfach so. Herrlich!

 

Das muss nicht immer die weiteste Reise sein, dass darf gern auch in der Nähe sein. (Und ehrlich gesagt kann es sogar ganz witzig sein, in der eigenen Heimatstadt mal „Tourist“ zu spielen. Einfach die Kamera schnappen und sonntags durch die Strassen bummeln, als wäre man noch nie dort gewesen – erstaunlich, was man alles sieht!) 

 

Ja, ich weiß, dass Thema Reisen ist sensibel – ja, wir müssen uns auch hier mit Umweltverträglichkeit, dem Sinn von Flugreisen und diesen Dingen auseinandersetzen. Und an manchen Orten geht durch den Tourismus viel kaputt, werden Kulturschätze zerstört und bringt allein die Anwesenheit von Menschen mehr Schaden als Nutzen. Und Geld kostet das Ganze ja auch. Aber es ist eben auch unglaublich bereichernd: neue Eindrücke, andere Lebensgewohnheiten, fremde Sprachen und Speisen und so vieles mehr fordern uns auf der einen Seite heraus und geben uns so viel Wertvolles zurück. Wer mich schon länger kennt, weiß, dass einer meiner Lieblingszitate „Aufenthalt in fremdem Land, mehrt und kräftigt den Verstand“ ist. Ich weiß immer noch nicht, wer der schlaue Mensch war, der diesen Spruch von sich gegeben hat. (Könnte auch von mir sein – hihihi…) 

 

Also: ich glaube, wir sind uns einig, dass es Vor- und Nachteile gibt. Das man bewusst(er) reisen sollte und über das ein oder andere vielleicht nochmal nachdenkt. Deshalb kann man trotzdem unterwegs sein. 

 

Aber seit wann zieht es uns eigentlich hinaus in die weite Welt? Haha, „schon immer“ zu antworten ist zu leicht ;) Also, starten wir die Zeitmaschine und reisen zurück in die Antike. Machen wir dort den Anfang. Bei den Römern. Denn sie waren es, die die allererste Grundlage dafür gelegt haben (in unseren Regionen), dass Reisen überhaupt möglich war. Für einen männlichen römischen Bürger war das Reisen unvermeidlich. Selbst arme Soldaten mussten wegen der vielen Kriege in immer entferntere Gebiete ziehen (ja, ich weiß, unter „Reisen“ verstehen wir etwas anderes, Krieg ist nicht „Verreisen“. Trotzdem findet sich hierin eine Grundlage für das Reisen gelegt.) Dem Militär folgten Händler, folgten die Beamten, die in den jeweiligen (eroberten) Gebieten dann für Recht und Ordnung und so zu sorgen hatten. Na ja, und die brauchten natürlich Straßen. Und an den Straßen Stationen, an welchen die Pferde gewechselt werden konnten. Man vielleicht etwas zu essen bekam. Eine Herberge. Das sind also die antiken Raststätten! Entlang des Oberrheins zum Beispiel haben wir schon ein paar solcher Stationen wieder entdeckt, aber es gab sie überall in diesem riesigen römischen Reich. 

Urlaubsreisen gab es auch schon. Allerdings eher für die reichen Bürger. Die übernachteten auch nicht in diesen „Raststätten“, sondern bei Freunden. Und am Reiseziel hatte man selbst ein Landgut, eine Villa,… Übrigens war hier die Strecke meist nicht soooooo weit, denn man musste sie ja auch bewältigen. Per Pferd sind das dann so etwa 60 km am Tag.

 

Sprung nach vorn in der Zeit in Richtung Christianisierung: hier ging es auf Pilgerreise oder Wallfahrt – wobei hierbei das Ziel im Vordergrund steht. Also ein Heiligtum oder so. Die Pilgerer nutzten natürlich bestehende Wege, denn darin waren ja die Römer ganz groß gewesen, die haben ein Straßennetz von wohl so um die 80.000 km hinterlassen. (Übrigens im 12. Jahrhundert verzeichnet auf der tabula peutingeriana, einer fast 7m langen Straßenkarte.) Entlang der Pilgerwege entstanden dann wieder neue Siedlungen und Handlungszentren, denn auch so ein Pilgerer musste mal irgendwo essen und schlafen. Übrigens kommen da auch erste Souvenirs auf (hierzu gab es ja im Artikel der vergangenen Woche ein bisschen was zu lesen): an den mittelalterlichen Pilgerzielen gab es immer auch ein Abzeichen (später dann auch Heiligenbilder oder ähnliches) zu kaufen. Das sollte zum Schutz der Reisenden auf dem Heimweg dienen, aber auch so ein bisschen ein Beweismittel sein, dass man auch wirklich vor Ort gewesen ist. Ach so: bei der Bewirtung und Beherbergung der Pilger standen kirchlichen Herbergen im Vordergrund. 

 

Die wohlhabende Bevölkerung war auch weiterhin unterwegs – nicht so sehr zur Erholung, sondern mehr zur Bildung. Besonders die Söhne des Adels gingen auf die sogenannten Kavaliersreisen – ja, da ging es auch um Bildung, aber auch so ein bisschen um das „Hörner abstoßen“, in die Gesellschaft eingeführt werden, heute würden wir sagen: networking! Entdeckerlust und Abenteuer war mit Sicherheit für viele junge Adlige ein Grund, hinaus in der Welt zu ziehen. 1670 wird von Richard Lassels in seinem Buch „The voyage of Italy“ hierfür zum ersten Mal der Begriff „Grand Tour“ verwendet – die übrigens wirklich manchmal „grand“ war! Bis zu drei Jahre waren die jungen Herren unterwegs. Meist in Begleitung eines erfahrenen Reisebegleiters und zu Pferd, später dann in der Kutsche. Die berühmteste dieser Kavalierstouren dürfte wohl die Goethens 1786 gewesen sein: die „Italienische Reise“, auf der Johann Wolfgang von anderthalb Jahre unterwegs war und mit seiner späteren Veröffentlichung dieser Kunst- und Kulturreise einen richtiggehenden Italienhype ausgelöst hat. Sowieso: Italien! Hier mussten die zukünftigen „Männer von Welt“ (ja, für Frauen war das Reisen mehr als unüblich) gewesen sein. Die antiken Hinterlassenschaften studiert, die Ruinen gezeichnet, die Sprache erlernt haben – kehrten sie in ihre (häufig waren es junge Engländer) Heimat zurück, waren sie perfekte Gentlemen. (Übrigens: wirklich wichtige Persönlichkeiten reisten schon damals inkognito (wie heutige Stars und Sternchen), unter falschem Namen. Goethe z.B. als Johann Philipp Möller. Vielleicht checke ich demnächst auch mal als Kunigunde von der Kunst ein?!)

 

Für diese Reisen musste noch ordentlich organisiert werden. Im Voraus. Kartenmaterial gab es kaum. Reiseführer nicht. Der erste, das sog. „Red Book“ des Engländers John Murray erschien erst 1836. Und auch einem Engländer gefiel es, Reisen für andere zu organisieren. Ab 1841 kümmerte er sich darum, dass vom Transportmittel bis zur Unterkunft alles geregelt war und die Reisegesellschaft nur noch zahlen musste. Der Herr, dem dieses Organisieren Spaß machte, hieß übrigens Thomas Cook. 

 

Postkarten kamen dann übrigens auch in Mode. Aus Italien. Die waren noch ein bisschen größer und nicht wirklich für den Postversand gedacht. Aber sie waren im Grunde die Vorläufer unserer Postkarten. (Apropos: Postkarten sind ja leider auch irgendwie vom Aussterben bedroht… Dabei ist das soooooo schön, mal neben den Rechnungen so ein buntes Kärtchen im Briefkasten zu finden!) Also: die ersten Souvenir-Bilder von diesen Reisen waren „Veduten“, wirklichkeitsgetreu gemalte Ansichten von Städten oder Landschaften. Die nahm man als Souvenir zusammengerollt mit nach Hause. Bernardo Bellotto sei in diesem Zusammengang genannt und per Klick geht’s hier auch zum Anschauungsmaterial. 

 

So, die Routen werden also vielbereister. Die Herbergen größer. Die Fortbewegungsmittel komfortabler. Und Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts vergrößert sich die Zahl der Reisenden erheblich. Das Zeitalter der Romantik bricht an, mit dem großen Thema „Sehnsucht“ (wie wir heute im Nachhinein sehen). Die Alpen rücken ins Visier. Wandern wird populär. Und mit der anbrechenden Industrialisierung reist dann auch das (nun vermögendere) Bürgertum. Eifert dem Adel nach. Eisenbahn und Dampfschiffe ermöglichen auch weitere Reisen. (Für die, die das Geld haben.) Kuraufenthalte werden modern. Ab dem Anfang des 19. Jahrhunderts hatten alle Beamten und die meisten Angestellten Anspruch auf bezahlte Erholungszeit – Arbeiter nicht. Mit den 1950er Jahren kommen die Ferien und die damit verbundenen Reisen dann (endlich) in der breiten Bevölkerung an und wieder lockt Italien, das „dolce vita“. Zum Beispiel.

 

Corona hat uns dann gezeigt, welche Freiheiten wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten genossen haben. Als wir nicht mehr „einfach so“ irgendwohin konnten. Momente in der Ferne sammeln. 

 

…zu Hause ist ja auch ganz schön!

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