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Intellektuelles Faulenzen. Ein Plädoyer für den Müßiggang  

 

Immer öfter ertappe ich mich dabei, wie ich versuche, jede „kostbare“ Minute „sinnvoll“ zu nutzen. Mails beantworten beim Zug fahren, ein Buch lesen in der Straßenbahn, die Aktivitäten, die unter der Woche keinen Platz gefunden haben, am Wochenende unterbringen, … Ja, Zeit ist kostbar, time is cash, time is money – schon klar. Als Selbständige versuche ich natürlich, so wenig money wie möglich zu verschwenden, sprich: Zeit „gut“ zu nutzen. 

 

So, jetzt habe ich ganz viel in diese „…“ gesetzt (mach ich gerne, auch beim Sprechen) – will heißen: das ist gesetzt, quasi Lehrmeinung. Mmmmmh, Lehrmeinung hört sich wichtig an. Ist es aber gar nicht. Und auch nicht richtig. Im Gegenteil: um aktiv sein zu können, brauchen wir auch und vor allen Dingen diese Leerlaufphasen, das „Einfach-nur-vor-sich-Hinstarren“. Machen wir viel zu selten. Also ich. 

 

Schon in der römischen Antike war dieses „Einfach-nur-vor-sich-Hinstarren“ als ein wichtiger Ausgleich zum alltäglichen (Berufs-)Leben etabliert. Otium hieß es da. In allen Lateinklassen gerne mit Müßiggang übersetzt, oder auch (etwas moderner) mit Freizeit. Dazu zog sich die gehobene Bevölkerungsschicht an den Wochenenden auf den Landsitz zurück, ließ die Seele baumeln, veranstaltete Treffen mit Freunden, lud zu philosophischen Diskursen ein. Wie bitte, was? Philosophische Diskurse? Hört sich so gar nicht nach Faulenzen an! Genau. Das ist es auch nicht. Es geht bei diesem ominösen otium um was anderes. Eben nicht einfach um das Faulenzen, sondern um das bewusste Faulenzen. Freie Zeit haben, die man so gestaltet, wie man möchte. Wo man die Gedanken schweifen lässt, neue Ideen spinnt, sich mit Gleichgesinnten austauscht. Ein Buch liest. Intellektuelles Faulenzen ;) 

 

Ja, jetzt ist nicht jedes Faulenzen immer gleich mit großen Diskursen gespickt. Klar. Wäre dann auch wieder auf seine Art wahrscheinlich ziemlich anstrengend. Darum geht es auch gar nicht. Ich glaube, der Punkt ist, diese freie Zeit als solche anzunehmen und bewusst zu genießen. Nicht im Hinterkopf zu haben, was man alles sollte, müsste, könnte. Sondern einfach nur da sein. Ohne schlechtes Gewissen. Ohne das Gefühl etwas zu verpassen. 

 

Dazu gehört auch, dass wir die Zeit einfach verstreichen lassen. Nicht von früh bis spät alles durchtakten, verplanen, ordnen. Einfach laufen lassen. Unbewusst funktioniert das schon ganz gut. Beispiel gefällig? Na klar: ein schöner Abend, man sitzt gemütlich zusammen, spricht über dies und jenes, ein Thema ergibt sich aus dem anderen. Vielleicht wird auch das ein oder andere Getränk gereicht. Genuss. Oliven? Häppchen? Was Süßes? …und ehe man es sich versieht, ist es – oh, schon so spät?! Aber das Thema war doch gerade so interessant und was ich dir auch noch erzählen wollte. …und huch, jetzt müssen wir aber wirklich…

 

Das kann sich dann gerne mal hinziehen und meistens sind genau dies die schönsten Anlässe. Die, die keinen Anlass gebraucht haben. Die sich ergeben. Zeitlos. 

 

Prägt sich aber ein so ein Abend. Das sind meistens die „Weißt-du-nochs“ oder „Damals-als“. (Muss übrigens auch kein Abend sein. Geht tagsüber genauso. Morgens. Egal.) Aus solchen Gelegenheiten sind oft schon die tollsten Ideen entstanden. Geschäftsgründungen passiert. Alles mögliche.

Schaut man einmal nach, woher dieses „faulenzen“ kommt - übrigens ein „schwaches Verb“ ;) - so findet man die Auskunft, dass das Wort von „ful“ stammt und im 9. Jahrhundert gleichbedeutend mit „träge“ aber eben auch verwesend, stinkend, modrig war… Und zusammengesetzt ergibt dann „sich einen faulen Lenz machen“ = faulenzen.

 

Aaaaaaber: genau dies sollten wir eben viel öfter machen! Einen faulen Lenz. Einfach nur so. Nichts tun. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass es uns ganz gut tut, mal abzuschalten. Nicht ständig von einem zum anderen zu hetzen. Uns stattdessen einfach mal treiben lassen. Dann werden wir nämlich wieder kreativ(er). Unser Hirn braucht diese „Verarbeitungszeit“. Ist doch auch kein Wunder: ständig prasseln neue Informationen auf uns ein. Nachrichten hier, ein Zuruf da und dazwischen noch tausend andere Dinge. Irgendwann MUSS da doch auch mal Ruhe sein. Klar, wir verarbeiten auch im Schlaf. Aber zwischendurch schadet es auch nicht, einfach mal dazusitzen und nur Löcher in die Luft zu starren. (Achtung, dass es nicht anfängt zu regnen vor lauter Löchern…). 

 

Also: diese gesunde Faulenzen, diese bewusste Auszeit, die lüftet die Hirnzellen einmal durch, lässt uns sortieren und dann wieder mit neuem Tatendrang weitermachen. Ausdrücklich ist damit NICHT das stunden- oder gar tagelange herumhängen gemeint – das führt nämlich im Gegenteil zu noch mehr Hängen. Und vermindert irgendwann unsere Leistungsfähigkeit sogar. Das ist ja auch logisch. Wie beim Sport: ein Muskel, der nicht trainiert wird, kann nach einer Weile nicht mehr so viel. Klar.

 

Halten wir kurz fest: kurzes Systemrenovieren und Durchlüften ist super. Und das sollten wir auch genießen. Fertig. …aber nicht sitzen bleiben… He! Aufstehen! 

 

Und im Sinne des „otiums“ passt übrigens auch ein Ausstellungsbesuch hervorragend. Das kann dann wie ein gutes Gespräch sein: anregend und erfreulich – Kopf-lüftend und -fordernd zugleich. „Otium“ – Müßiggang. Intellektuelles Faulenzen. 

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