Nachdem in der letzten Kulturlektüre schon Farbe das Thema meiner Wahl war (und Ordnung und so), möchte ich heute da noch einmal ein bisschen tiefer graben. Und zwar bei der Farbe von Dingen.
Was macht eigentlich die Farbe eines Gegenstandes mit uns? Schmeckt etwas anders, nur weil es eine andere Farbe hat? Also das in Gold gewickelte Steak zum Beispiel. Schmeckt das besser? Schlechter? Anders? …ehrlich gesagt: das kann ich nicht beantworten – ich habe nämlich noch nie ein in Gold gehülltes Stück Fleisch zu mir genommen. Und (unter uns) ich glaube, in dem Fall hab ich auch nicht so wirklich was verpasst. Zum einen ist Steak nicht so meins (aber das ist natürlich Geschmacksache) und zum anderen schmeckt Gold nicht. Also nicht nicht, sondern nach nichts. Echt.
Ein anderer Aspekt ist aber interessant daran. Finde ich.
Nehmen wir Gegenstände aufgrund ihrer Farbe anders wahr? …gehen wir an dieser Stelle mal weg von dem Steak… Nehmen wir einen Kugelschreiber. Meiner, der gerade neben mir auf dem Schreibtisch liegt, ist neonorange. Schreibt blau. Tut sein Ding. Schreiben nämlich. Das tut er ungeachtet seiner Farbe. Also weder die Farbe der Hülle noch die Farbe der Tinte hat einen direkten Einfluss auf das, was dieses Ding tut. Tun soll. Wenn, dann hab höchstens ich einen Einfluss darauf (z.B. wie ich das Ding in der Hand halte) oder auch das Klima (zu warm, zu kalt) aber nicht die Farbe. Egal, ob der Schreiber rot, grün, gelb oder auch in goldiger Farbe erstrahlt. Es bleibt ein Kugelschreiber. Er wird ja nicht durch eine andere Farbe zu einem Auto.
Die Farbe eines Gegenstandes hat an ganz anderer Stelle einen Einfluss. Natürlich.
Da, wo wir ins Spiel kommen. War ja klar, irgendetwas hat es mit uns zu tun!
Also bleiben wir bei dem Kugelschreiber auf meinem Schreibtisch. Das ist tatsächlich einer, den ich mir bewusst ausgesucht habe, den ich „erwählt“ habe, mich zukünftig zu begleiten, mit mir gemeinsam Buchstaben (und andere Dinge) in irgendeiner (manchmal sinnvollen) Weise auf das Papier oder ähnliche Untergründe zu bringen. Nicht so ein Werbedings, das sich quasi in den Schreiballtag drängt.
Das mit der Wahl ist wichtig. Denn an dem Punkt kommt die Farbe ins Spiel. (By the way: ich habe mich natürlich auch für eine bestimmte Form entschieden, aber das ist tatsächlich ein Thema für eine anderes Mal).
Also, Farbe.
Ich wollte genau die. Andere wollen andere. Logo, sonst wären in dem Geschäft ja nur die gleichen Kugelschreiber in der gleichen Farbe gewesen. Ist aber nicht so. Farbe ist subjektiv. (Über dieses Subjektivitäts-Dings habe ich mich bei der Tante Kunigunde schon mal ausgelassen – das kann man in dem entsprechenden Artikel auf meinem Blog auch nochmal nachlesen!) Also subjektiv. Jeder Mensch nimmt Farbe anders wahr. Achtung, da steht „wahrnehmen“ – das ist noch einmal etwas anders als „sehen“. Denn an diesem Punkt ist nicht nur Farbreiz an Hirn über Auge (der Prozess ist etwas komplizierter, aber auch dazu vielleicht an anderer Stelle einmal mehr).
Also Farbreiz.
Der ist auch noch verknüpft mit Erinnerung / Gedächtnisspeicher / einer Idee von Farbe. In dem Fall meinerIdee von Farbe. Und die ist anders als die Idee von irgendjemand anders, der vielleicht zur gleichen Zeit im Laden stand oder vorher oder nachher oder… (Ok, ich glaube, es ist an der Stelle klar, was ich meine.)
Das ist also so, als würde die Farbe es sich an meinem Ohr gemütlich machen und mir eine Geschichte erzählen. Natürlich nicht irgendeine, sondern die, die wir gemeinsam schon erlebt haben. Also im Falle des Neonoranges vielleicht so etwas wie: „Hi, ich bins, das leuchtende Neonorange. Gell, ich steche ganz schön aus den langweiligen anderen Farben hervor?! Weißt du noch, du hast doch damals, als du in die Schule gekommen bist, so eine lustige Mütze bekommen. Damit man dich gut sieht, wenn du die Straße überquerst. Ja, mich findest du immer und überall wieder. Und außerdem: sehe ich nicht ganz wunderbar nach Sommer aus? Disco?“ [Anmerkung an dieser Stelle: Die soeben geschilderte Geschichte entspringt voll ganz meiner Fantasie und hat zu echten Begebenheiten keinerlei Verbindung.]
Mein Ohr. Meine Geschichte. Meine Idee von Farbe.
Anderes Ohr. Andere Geschichte. Andere Idee von Farbe.
Ist logisch so weit, oder?
So, und dieses Farbdings spielt daneben noch (im Alltag) meistens eine eher untergeordnete Rolle. Ich gehe ja nicht in ein Schreibwarenfachgeschäft und suche etwas in neonorange. Ich gehe ja da hinein, weil ich etwas zum Schreiben brauche. Also erst Funktion, dann Farbe. Das heißt unser Fokus ist hier ein anderer. Nehmen wir jetzt noch einmal das Beispiel Vitra Schaudepot her (das war das mit dem Neuarrangement nach Farben in dem Artikel aus der vergangenen Kulturlektüre). Bei einem (Sitz-)Möbel ist auch die Funktion erst einmal das, was im Vordergrund steht. Die Farbe nehmen wir zwar wahr, aber eben nur so am Rand. (In der Regel.) So und jetzt mit der neuen „Sortierung“ der ausgest ellten Möbel im Schaudepot wird natürlich ein anderer Fokus gelegt. Dadurch, dass sie nun alle nach Farben sortiert sind, bekommt die Farbe einen anderen Stellenwert. Wird wichtiger. Und ändert die Art und Weise, wie wir das Ding sehen.
Nicht
„oh, komm zu mir, auf mir sitzt du tooooootaallll bequem, wenn du abends müde bist und ein Buch lesen möchtest“
sondern
„bin ich nicht schön in diesem ultramarinblau? In meiner Farbe versinkst du und träumst dich in himmlische Sphären oder an karibische Strände.“
Oder so.
Und dann macht Farbe einen Unterschied. Es wird kein anderer Gegenstand. Aber die Geschichte, die der Gegenstand erzählt, verändert sich. Mein Ohr, dein Ohr. Und damit entsteht, ganz individuell, eine neue Idee von Farbe. Und des Dings.
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