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Hanna Nagel I Kunsthalle Mannheim (2022)

Hanna Nagel, Selbstbildnis, 1929

Hanna Nagel, o.T. (Selbstbildnis mit Brille), 1928

Hanna Nagel (1907-1975) war eine Künstlerin, die sich in ihrem Werk kritisch mit den vielfältigen Rollen ihres Lebens auseinandersetzt und ihre Sichtweise auf die patriarchalisch geprägte Gesellschaft sehr deutlich darstellt. Die Themen ihrer Zeichnungen und Radierungen sind einerseits sehr persönlich, haben andererseits dennoch eine Allgemeingültigkeit - sie setzen sich kritisch mit den Geschehnisse der Zeit auseinander und sind dennoch noch immer aktuell.

 

Hanna Nagel wird Anfang des 20. Jahrhunderts in Heidelberg geboren, 1925 beginnt sie ihr Studium in Karlsruhe an der Badischen Landeskunstschule (heute Staatliche Akademie der Bildenden Künste). Erst seit 1919 war es Frauen überhaupt möglich, an der Akademie ihr Studium zu aufzunehmen - zuvor wurden diese in einer “Malerinnenschule” separat unterrichtet, allerdings auf dem gleichen Gelände und von dem gleichen Lehrkörper, wie auch die männlichen Studenten.

Die 1920 in “Badische Landeskunstschule” umbenannte Akademie erlangte große Bedeutung als Zentrum der Neuen Sachlichkeit mit Künstlerpersönlichkeiten wie Rudolf Dischinger (1904-1988) oder auch Karl Hubbuch (1891-1979). Durch das nationalsozialistische Regime wurden diese sozialkritischen Themen und die damit einhergehenden Reformbewegungen jedoch unterbunden, Künstler aus dem Lehramt entlassen, ihre Kunstwerke beschlagnahmt und ihr Schaffen unterbunden.

 

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Hanna Nagel, Selbstbildnis, 1929

 

Neue Sachlichkeit: Prägende Stilrichtung in der Zeit der Weimarer Republik (ca. 1914-1933), die die gesellschaftspolitischen Umbrüche, den Alltag, sozialkritische Themen und die herrschende Desillusionierung zum Thema hat. Klar und auf objektive Weise wird die Gegenwart als Kontrast zur Avantgarde dargestellt. Künstler:innen wie Lotte Laserstein, Otto Dix, Hanna Nagel und George Grosz prägen diese Kunstrichtung maßgeblich. Gustav Friedrich Hartlaub, Leiter der Kunsthalle Mannheim, gibt ihr 1925 mit der Ausstellung “Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus” einen vielbeachteten Rahmen.

 

Schon in ihren Werken aus der Studienzeit beschäftigt sich Hanna Nagel mit Geschlechterrollen, der Dominanz männlicher Sichtweisen und den herrschenden Machtstrukturen.

 

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Hanna Nagel, o.T. (Selbstbildnis mit Brille), 1928

 

Interessant ist zu beobachten, dass auch Nagels Selbstbildnisse eine eher maskuline Darstellungsweise ihrer selbst zeigen: Kurze Haare, markante Gesichtszüge, maskuline Kleidung - das Bild einer modernen Frau.

Ohnehin erscheint ihr derzeit in der Kunsthalle Mannheim ausgestelltes Werk auch eine ständige Hinterfragung und Selbstreflexion zu sein. Fast wirken die Zeichnungen wie ein Tagebuch, in dem sie nicht nur sich selbst kritisch unter die Lupe nimmt, sondern auch ihre Beziehung zu ihrem späteren Mann, Hans Fischer (1906-1987). Zudem spiegeln ihre Bilder die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Themen ihrer Zeit wider: Abtreibung, Homosexualität, Antisemitismus, Diskriminierung und Rassismus.

Und immer wieder sie selbst. In unterschiedlichen Rollen. Wie eine Stellvertreterin für die gesellschaftlichen Tendenzen, wie ein Seismograph, der die Schwingungen von außen aufgreift .

Grausam ehrlich. Mit sich selbst. Mit ihrer Zeit. Mit uns als Betrachter:innen. Wahrscheinlich intensiver, als wenn man ihr Tagebuch lesen würde. Dichter, drängender. Und bei all dem durch die fast schon monochromen Darstellungen auch düster, unheilvoll.

In ihrem Werk “Die Ehe” ist eine andere Hanna Nagel zu sehen. Eine weiblichere, mit längeren Haaren, weicheren Gesichtszügen. Wie Dr. Inge Herold, Kuratorin der Ausstellung und stellvertretende Direktorin der Kunsthalle Mannheim, in einer spannenden Führung im Rahmen eines Community-Events am 14.5.2022 ausführte, spielt Hanna Nagel bewusst mit diesen unterschiedlichen Rollen bzw. Darstellungen. 

 

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Hanna Nagel, Die Ehe, 1930

 

Unterstreicht damit ihre Botschaft. Zudem bedient sie sich klassischer Gestaltungselement, dem Sprachrepertoire der (christlichen) Kunstgeschichte und zahlreichen Symbolen.

Nicht immer wird hierbei klar, ob sie auf ihr eigenes Leben anspielt oder gezielt gesellschaftliche Themen aufgreift. (Ungewollte) Schwangerschaft und Abtreibung, die Schicksale der Frauen über alle Gesellschaftsschichten hinweg.

Und damit sind ihre Bilder wieder unglaublich aktuell. Erschreckend aktuell. Denn die Brisanz mancher Problematik hat sich bis heute kaum geändert…

In nebenstehendem Werk steht (ähnlich einer Mondsichelmadonna) eine in ein blaues Gewand gehüllte Frau (Maria?) mit ihrem rechten Fuß auf einem zunehmenden Mond. In ihrem roten Umhang liegen kleiner menschliche Körper. Kinder? Leben sie? Sind sie tot? Ist es der Kinderwunsch, der dargestellt wird? Ist es ein Bezug zur Diskussion um den Paragrafen 218, dessen

 

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Hanna Nagel, Traum von den Kindern (Zyklus “Mutter und Kind”), o.J.

 

Streichung in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und mit der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland 1918 vehement gefordert wurde und der Inhalt zahlreicher Kunstwerke u.a. von Käthe Kollwitz wurde?

Es gibt so viel im Werk von Hanna Nagel zu entdecken, es konfrontiert mit so Vielem und fordert zu Diskussionen und Reflexionen auf. 1957 wurde ihr Werk in der Kunsthalle Mannheim zum ersten Mal gezeigt - dann geriet die Künstlerin (wie leider so viele ihrer Kolleginnen) in Vergessenheit.

 

Jetzt ist die Gelegenheit, Hanna Nagel noch bis zum 3.7.2022 in der Kunsthalle Mannheim anzuschauen!

Hanna Nagel, Die Ehe, 1930

Hanna Nagel, Traum von den Kindern (Zyklus “Mutter und Kind”), o.J.

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