Septembermorgen
Im Nebel ruhet noch die Welt,
noch träumen Wald und Wiesen;
bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
den blauen Himmel unverstellt,
herbstkräftig die gedämpfte Welt
in warmem Golde fließen.
Eduard Mörike
…was ein schönes Herbstgedicht! Ich mag es sehr, auch die Herbstgedichte von Rainer Maria Rilke, der – genau wie Mörike – so wunderbar verstanden hat, in Worten das auszudrücken, was den Herbst ausmacht. Bei Rilke muss ich gestehen ist es mir ein bisschen zu traurig, zu schwermütig und „wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“ lässt mir fast die Tränen in die Augen steigen. Da ist mir Mörike lieber. Positiver. Aber nicht weniger Wortgewaltig, lautmalerisch…
Und gerade sind die Farben ja auch wirklich so, wie Mörike sie beschreibt. Ist einerseits ein unglaubliches gelb-goldenes Leuchten und andererseits (häufig) dieser strahlendblaue Himmel. Ein herrlicher Kontrast! Das warme Gelb und das kaltstrahlende Blau spielen miteinander, versuchen sich gegenseitig auszustechen und passen doch wiederum so wunderbar zusammen.
Reinste Farbenlehre!
Johann Wolfgang von Goethe hat über vierzig Jahre lang zu Farben und Optik geforscht, hat experimentiert und schließlich 1808 sein Werk „Die Farbenlehre“ herausgebracht, in welchem er seine Ergebnisse und Ideen vorstellt. Spannend ist darin zum einen der historische Teil, in dem er die Geschichte der Farbenlehre von der Antike über Newton bis zu sich selbst nachzeichnet (und an der ein oder anderen Stelle auch recht kritisch betrachtet) und zum anderen seine eigenen Erkenntnisse. So hatte er z.B. das natürliche (weiße) Licht untersucht und festgestellt, dass darin alle Farben enthalten sind – siehe Regenbogen. Diese Farben: Rot, Violett, Blau, Grün, Gelb und Orange ordnet er dann in seinem Farbkreis an. Rot, Gelb und Blau sind die Primär- und Violett, Grün und Orange die Sekundärfarben. Letztere ergeben sich durch die Mischung von jeweils zwei Primärfarben.
Die Farben, die sich im Farbkreis gegenüberliegen, sind die sogenannten Komplementärfarben. So zum Beispiel blau und gelb. Wie Goethe sagte, sind das Farben, die sich gegenseitig „fordern“. Sie bilden einen sogenannten Sukzessivkontrast. Hört sich kompliziert an, ist aber ganz einfach und kann man in einem kleinen Experiment selbst ausprobieren: Man starre eine Weile auf einen blauen Bildschirm und anschließend auf die weiße Wand.
…
Ausprobiert?
Und, was ist passiert?
Richtig, wir „sehen“ auf der weißen Wand plötzlich eine Farbe. Und zwar nicht das Blau, sondern sein Komplementär, ein Gelb-Orange! Also baut uns unser Auge die Ergänzung zu dem Blau auf die weiße Wand – ein physiologisches Phänomen, bei dem sukzessive (also allmählich) ein Nachbild auf der Netzhaut erzeugt wird. Geht genauso mit Grün. Gibt dann ein rotes Nachbild.
Wo wir schon bei grün und rot sind: hier gibt es noch einen schönen Kontrast, den Simultankontrast. Hier passiert etwas gleichzeitig. Unser Sehsystem produziert nämlich zusätzlich zu der Farbe die „da“ ist (also vielleicht grün) noch die komplementäre Farbe (also bei grün rot) drumherum. So sehen wir beide Farben gleichzeitig. Das hat die Natur so eingerichtet, um Kontraste zu verstärken. Cool, oder? Fand Goethe auch als er es herausgefunden hat.
Später haben sich noch viele andere mit der Farbe und ihren Phänomenen auseinandergesetzt. Johannes Itten zum Beispiel. Der hat dann auch Goethes Farbkreis erweitert und insgesamt sieben Kontraste festgelegt. Neben den schon genannten Kalt-Warm-Kontrast (das war das mit dem goldenen Herbstlaub und dem blauen Himmel und das ist auch gleichzeitig noch einer, nämlich der Komplementärkontrast), Simultan- und Sukzessivkontrast (das mit dem Nach- und „Drumherum“-Bild) gibt es da nämlich noch den Hell-Dunkel-Kontrast. Der ist einfach. Schwarz und Weiß. Dunkel und Hell. Klar.
Dann noch der Qualitätskontrast (auch Intensitätskontrast genannt). Auch gar nicht so schwer. Ein Rot leuchtet zum Beispiel auf einem grauen Untergrund sehr stark oder auch ein Gelb (Herbstlaub) vor der dunklen Erde. Oder anders gesagt: eine helle, leuchtende Farbe wird einer abgetönten (mit weiß, schwarz oder grau gemischten Farbe gegenübergesetzt). Nutzen übrigens die mittelalterlichen Glasmaler – nicht umsonst sehen die Farben der Kirchenfenster so strahlend aus. Sie stehen ja immer im Kontrast zu den Bleistegen, von denen sie gehalten werden.
Was haben wir noch? Ach ja, wo Qualität ist, da ist dann auch noch die Quantität. Das sieht man zum Beispiel in den Werken von Piet Mondrian. Da reicht ein bisschen gelb, um gegen die größere blaue Fläche antreten zu können. Oder bei van Goghs Nachthimmel, wo die kleinen gelben Sterne mindestens so sehr strahlen, wie der blaue Himmel – quantitativ ebenbürtig sind. Ein kleiner roter Marienkäfer auf einer grünen Wiese reicht auch als Ausgleich. Also farbtechnisch gesehen. Im Sinne des Quantitätskontrasts. Das kann man sich auch vorstellen wie ein Mobile. Nur das hier keine unterschiedlich großen Dinge an den Stäben hängen, sondern unterschiedliche Farben, die auch alle ihr „Gewicht“ haben. Rot ist da z.B. „schwerer“ als schwarz. Ich brauche also nur im Vergleich weniger rot, um den Ausgleich zu einer größeren schwarzen Fläche zu bilden.
Und nicht zu vergessen der einfachste aller Kontraste, der Farbe-an-sich-Kontrast. Mindestens drei Farben, die sich im Farbkreis möglichst nicht berühren, treffen aufeinander. Am eindrücklichsten bei blau-rot-gelb. Dann strahlen alle drei im Wettbewerb zueinander. Sieht man wegen seiner Strahlkraft häufig bei Schildern (weiß und rot).
Diese Kontraste kann man sich in den verschiedensten Bereichen zunutze machen. In der Raumgestaltung zum Beispiel. Durch geschickt eingesetzte Farben an den Wänden kann mehr Tiefe entstehen. Oder in der Malerei.
Und wenn wir das Ganze mal wieder in das wahre Leben zurückbringen, wie schon bei meinen Texten zu den Falten oder den Streifen beim Zebra, dann sehen wir das doch genauso auch im alltäglichen Miteinander. Wären wir alle einer Meinung, wäre das doch eine langweilige Matschepampe. Erst durch den Kontrast (mit- und manchmal gegeneinander) sieht man das andere besser, leuchtet es heller. Und manchmal zeigt sich in der einen Meinung das Nachbild der anderen… Marienkäfer auf grüner Wiese.
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