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Falten machen stabil  

Ja, ja, richtig gelesen! Ich habe mich nicht verschrieben, ist schon alles so gemeint, wie es da steht. 

Wie? Ach nein, ich verkaufe nicht neuerdings noch irgendwelche Wundermittel gegen oder für irgendetwas.

Die Überschrift ist Teil meiner kleinen Philosophie am Freitagnachmittag. 

 

Wie immer fange ich am besten vorne an – macht es für mich einfacher und natürlich für alle, die lesender Weise versuchen, mir zu folgen, auch! Nehmen wir ein Blatt Papier: hübsch, vielleicht weiß, vielleicht lilagrüngepunktet, orangerotliniert. Vorderseite – Rückseite. Liniert, mit Markierungen, kleinkariert. Äh, kariert.  Da kann man drauf schreiben, malen und was uns noch sonst so alles einfällt. Ok. 

 

Jetzt beginnt die gemeinsame Versuchsreihe: Schon mal ein Blatt Papier auf die Seite gestellt? Ja, ja, genau, diese dünne da, links, rechts, oben, unten. Funktioniert nicht so wirklich. Wie auch, beim Blatt haben wir Höhe und Breite, aber eine kaum nennenswerte Tiefe. Steht also nicht. Das würde erst funktionieren, wenn wir einen Bogen Karton hätten. Mehr Tiefe, mehr Steh. 

 

Oder: Falten! Ein stinknormales Blatt Papier, in der Hälfte gefaltet und wieder leicht v-förmig geöffnet: steht. Kennt jeder auch von der sogenannten Hexentreppe: man benötigt zwei Streifen Papier, sagen wir so einen Zentimeter breit und vielleicht 20 cm lang. Ach und etwas Kleber. Und wenn die Streifen dann noch unterschiedliche Farben haben: super! Diese beiden Streifen nehmen wir und legen die Ende übereinander im rechten Winkel und kleben sie aneinander. Und nun beginnt die lustige Falterei: immer den unteren Streifen über den oberen, hin und her. Bis zum Ende der Streifen. Die Enden werden auch hier wieder übereinander gelegt und festgeklebt. So, fertig. Jetzt das Ganze leicht auseinanderziehen (sieht hübsch aus mit den beiden Farben, oder?) In der Länge ist nun aus den beiden Papierstreifen eine recht stabile (und belastbare) Ziehharmonika geworden. Wenn wir nun die beiden Ende kreisförmig wieder zueinander führen und wiederum die Enden aneinanderkleben haben wir eine ringförmige blütenähnliche Form – die kann man übrigens prima als Eierbecher verwenden. Zum Beispiel, wenn man für den Weihnachtsbrunch nicht genügend im Geschirrschrank hat und die Nachbarn ihre nicht verleihen wollen. Funktioniert auch in der „Luxus-Version“ aus Goldpapier. 

 

Gern geschehen. 

 

Zurück zum Thema: Blatt also nicht stabil – gefaltet: schon besser! Wird übrigens auch bei Kartons benutzt. Nicht mit Hexentreppe, aber mit Zickzack, zwischen zwei „Blatt“ Papier. Und aus Kartons kann man sogar Möbel herstellen. Betten, Tische, Stühle. Sogar Frank Gehry kann hier mithalten. Ja, genau, das ist der Architekt, der 1989 das Vitra Design Museum in Weil am Rhein und 1997 das Guggenheim Museum in Bilbao entworfen hat. Der hat sich in den 1970er Jahren Materialien sowohl in seiner Architektur als auch in seinen Möbelentwürfen Materialien zugewandt, die eher untypisch waren in dieser Verwendung. Also Wellblech zum Beispiel oder eben Karton. Vielleicht war er aber auch einfach nur zu faul, um das Altpapier in den Container zu bringen. Wer weiß. Jedenfalls entwickelt er Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahren die Möbelserie „Easy Edges“ und der Wiggle Chair ist einer davon. Hier nutzt er nicht nur die grundsätzliche Stabilität des Kartons aus, sondern wendet auch noch ein ganz ähnliches Verfahren an, wie es Michael Thonet schon für seine Bugholzmöbel über hundert Jahre zuvor getan hat: anfeuchten, verbiegen, trocknen, hält. Und ist stabil, belastbar. Hält sogar einen Käfer aus, und zwar nicht den Lebendigen, sondern den Fahrenden!

 

Auch beim Wellblech übrigens gleiches Prinzip. Knicke im Blech = Stabilität. Horizontal eingesetzt – nö, nicht stabil. Vertikal eingesetzt – jupp, funktioniert. Funktioniert im Karosseriebau, bei Flugzeugen und wieder auch bei Möbel, zum Beispiel bei denen von Jean Prouvé. Ursprünglich mal Kunstschmied hatte der schon eine Ahnung vom Umgang mit Metall und kannte die Kniffe. (Ok, das Wortspiel musste jetzt sein.) Also: er hat zum Beispiel für die Hinterbeine seiner Stühle gekniffene – äh, geknickte - Metallelemente eingesetzt und erreicht so eine größere Stabilität. Der Stuhl, respektive seine Beine tragen das Gewicht der Person, die darin sitzt, problemlos. Geringere Materialstärke ist nötig, um die gleiche Stabilität zu erreichen. Prouvé setzt dies übrigens auch bei seinen Pavillons ein, wie den Tankstellen, die er in den 1950ern für Mobil Oil entwickelt hat.

 

Beweis erbracht, Stabilität erreicht. 

 

Kommen wir nun noch zur kleinen Philosophie am Nachmittag. Ist es nicht auch so, dass wenn da so ein paar Fältchen im Gesicht einer Person zu sehen sind, diese vielleicht schon einige Erfahrungen gemacht hat, die sie „stabiler“ im Leben stehen lassen? Oder die Lachfältchen in den Augenwinkeln ein Indikator dafür sein können, dass hier jemand weiß, dass mit Humor und einem Lächeln alles etwas leichter fällt? 

Falten machen also stabil! 

Oder: „The smile looks good on you”!

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