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SELBST portrait SELFIE  

 

Kürzlich habe ich eine WhatsApp von einer Freundin bekommen, in der sie um meine Unterstützung als „Telefon-Joker“ gebeten hat. Nein, nicht bei Günther Jauch. Viel harmloser! Es war für ihre Tochter, die gerade im Abistress ist und in einer Klausur gefragt wurde, seit wann das Portrait eine eigenständige Bildgattung in der Bildenden Kunst ist.

 

Tja, und? Seit wann? 

 

Kurzer kunsthistorischer Exkurs. (Ja, bitte weiterlesen, tut nicht weh und ist auch gar nicht so kompliziert!). Also. Portait (oder auch „eingedeutscht“ Porträt) – kommt aus dem Lateinischen. Da heißt „portrahere“ hervorziehen. Aha! Jetzt ziehen wir hier aber niemanden aus irgendeiner Ecke hervor, um sie oder ihn zu malen. Nein, was hervorgezogen wird, ist das Individuelle einer Person, dass was sie ausmacht. 

 

Achtung, nicht verwechseln mit der Karikatur, bei der das Individuelle überzeichnet, überbetont wird. Beim Porträt wird der Versuch unternommen, nach dem Vorbild der Natur (also möglichst abbildgetreu) eine Person abzubilden und dabei kenntlich zu machen, dass es sich um genau jene und nicht eine andere Person handelt. 

 

Portraitiert wurde schon in der spätägyptischen Kunst: die Mumienportraits sind hier zu nennen. Oder auch in der römischen Antike die Büsten. Aber wer ist portraitiert worden? Nicht der Straßenhändler oder die Obstverkäuferin. Nein, es waren die höher stehenden Personen einer Gesellschaft. Denn nur die waren es „wert“ abgebildet zu werden. Spannendes Thema. Das Material für die Abbildungen war so wertvoll, dass es nicht einfach verschwendet werden sollte, sondern nur für bestimmte Zwecke eingesetzt wurde. Und da war die Frage schnell beantwortet, ob Kleopatra das Material wert ist. Der Philosoph. Nicht die Obsthändlerin. (Hier wäre ein Blick darauf interessant, wie viele Männer und wie viele Frauen portraitiert wurden – aber das sprengt hier den Rahmen...)

 

So. Antike. In Europa setzt dann die Christianisierung ein. So ab dem 4. Jahrhundert nach Christus (logischerweise danach...). Also. Damit verschwanden Abbildungen von Menschen komplett in der Versenkung. Abgebildet wurde zunächst vor allem Christus. Sozusagen damit man wusste, an wen man sich wendete. 

 

Kurzer Exkurs: die Christusstatuen sind übrigens häufig nach antiken Vorbildern geschaffen. Heißt, man nutzte „einfach“ Zeus- bzw. Herkulesstatuen weiter – nur eben jetzt unter einem anderen Namen. Ebenso hat man es etwas später auch mit Marienfiguren (oder anderen) gehalten: Aphrodite- oder Venusstatuen sind es, die da (in Gewänder gehüllt) drin stecken.  Nichts neu erfunden. Einfach weiter genutzt. Und damit die Vorstellung von Generationen von Menschen geprägt. Bis heute. Und keiner hat es hinterfragt. Warum auch. Erst in der neueren Geschichte begann man zunehmend, sich Gedanken darüber zu machen, wie Jesus Christus wohl tatsächlich ausgesehen hat. Oder Maria. Oder.

 

Zurück zum eigentlichen Thema. Christus. Heiligenabbildungen. Keine sterblichen Menschen. Stichwort Materialkosten. Das heißt, in der mittelalterlichen Kunst gibt es so gut wie keine Portraits. 

 

Und dann verändert sich die Gesellschaft. Zentrum Italien. Florenz. Renaissance. Wir sind im 15. Jahrhundert. Man entdeckt den antiken Humanismus wieder. Die Antike wird ohnehin DAS Vorbild. Auch in der Architektur, Bildhauerei,... Und die Zeitgenossen der Renaissance fangen nun an, Dinge zu  hinterfragen, zu erforschen – man denke an Galilei und Kolumbus zum Beispiel. Die Gesellschaft erlangt mehr Selbstbewusstsein. Sieht sich nun auch als „wichtig“ an – oder zumindest wichtiger. Und der Adel, das gehobene Bürgertum – sie wollen nun auch Abbildungen von sich haben! Portraits. Und so ist die Renaissance das Zeitalter, in dem das Bildnis des Individuums eine neue Bedeutung erhält. (Problem hier: das mit dem Abbildgetreu hat man nicht immer so ganz genau genommen. Wer will schon riskieren, den Graf XY zu malen, genau wie er aussieht und dann ist das eben ein (Entschuldigung!) hässlicher Vogel. Und man malt ihn so. Der ist dann aber wahrscheinlich nicht so amused. Und wird wohl den Malenden schnell los werden. Vielleicht für immer...

 

Wir dürfen also davon ausgehen, dass Portraits in der Renaissance – zumindest die Auftragsarbeiten – häufig „geschönt“ sind. Wer will schon wegen einem fliehenden Kinn oder einer Augenfehlstellung seinen Job oder gar sein Leben verlieren!

 

Puh. Es passiert aber noch etwas in der Renaissance. Der Künstler selbst wird unglaublich selbstbewusst. Dies zeigt sich zum Einen in den nun auftauchenden Signaturen. „Ich hab’s gemacht, also schreibe ich auch meinen Namen drunter. Und bin stolz darauf.“ Zum anderen in den Selbstporträts der Künstler. (Übrigens verwende ich den Begriff Künstler hier für weibliche und männliche Kunstschaffende gleichermaßen.) Jetzt ist doch tatsächlich ein Albrecht Dürer (zum Beispiel) so frech und malt sich selbst! Als Künstler! Unglaublich. Aber wahr. 

 

Und damit ist das erste Selfie entstanden: Albrecht Dürer. Selbstbildnis (auch Münchner Selbstbildnis genannt), 1500 entstanden. Hängt heute in der Alten Pinakothek in München. Vorteil war/ist natürlich, dass man sich selbst immer „dabei hat“. Das heißt, immer eine Vorlage zum Üben hat. 

 

Selbstbildnisse sind inzwischen auch wieder in. Heißt jetzt aber anders. Selfie. Ist aber vom Prinzip her das Gleiche. Mich hab ich immer dabei. Ich bin selbstbewusst. Ich zeige mich. Unterstützt natürlich in dem Fall noch durch die Technik – Stichwort „Selfie-Kamera“ – die das möglich macht. Und die Verbreitung ist natürlich heute noch leichter möglich. Aber: während Albrecht Dürer zum Beispiel versucht hat, sich so abbildgetreu wie irgend möglich zu malen, neigen heutige Selbstbildnis-Erstellende wieder zum „schönen“. Filter sei dank!

 

Um abschließend also noch die Antwort zu geben: Ab der Renaissance. 

Frage vergessen? 

Steht ganz oben!

;)

 

 

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