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Ein bisschen frech.  Selbstbewusst. Keck.  

 

Paris im März 2018. Viele gelaufene Kilometer. Unzählige Eindrücke: neu Entdecktes und auch von vorherigen Besuchen Aufgefrischtes. Museumsbesuche – natürlich! Louvre, Centre Pompidou, Fondation Louis Vuitton, ... 

 

Vor allem aber: Musée d’Orsay! 

 

Hier befindet sich eine meiner absoluten Lieblingsskulpturen: „La Petite Danseuse de quatorze ans“ (Die kleine vierzehnjährige Tänzerin) von Edgar Degas. Streng genommen ist es gar nicht die von Degas geschaffene Skulptur und nochmal strenger genommen ist es eigentlich auch keine Skulptur. 

 

Von vorne: Edgar Degas (1834-1917) war ein Künstler, der den Impressionisten zugeordnet wird – auch wenn er sich selbst dort gar nicht so richtig gesehen hat, vielmehr der Ansicht war, einen eigenen Stil zu verfolgen. Befreundet war er mit Manet, Monet, Renoir und sie werden sich wahrscheinlich auch bei dem ein oder anderen Glas Wein (oder Absinth) über ihre Kunst ausgetauscht haben, hatten gemeinsame Ausstellungen. 

 

Degas hatte ein Faible für die Oper, das Ballett, für die Tänzerinnen. Einige von ihnen hat er in seinen Skizzen und Gemälden festgehalten, ihre Bewegungen studiert, versucht die Stofflichkeit der Tutus einzufangen. Dies hat er auch dreidimensional getan, mit der Darstellung der vierzehnjährigen Marie von Goethem.

 

Sie stellt er 1881 in rötlich-braunem Wachs[1] mit einer Echthaarperücke dar. So wie sie ist. In Ballettpose, den rechten Fuß nach vorn gesetzt und ausgedreht, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Aufrecht. Selbstbewusst. Sie reckt ihre Nase fast ein bisschen frech nach oben. Ich finde, dass Wort „keck“ passt hier ganz gut. Bekleidet ist sie mit einem eng anliegenden Mieder und einem blassrosafarbenem Tutu. Ihr Haar wird im Nacken von einer großen Schleife zu einem Zopf zusammengefasst. 98 cm ist die kleine Tänzerin hoch. 

 

Wir wissen auch ein Wenig über Marie selbst, die in ärmlichen Verhältnissen lebte und ihre Ausbildung zur Tänzerin an der Pariser Oper absolvierte. Ihre Spuren verschwinden mit zunehmende Alter...

 

Als die Statue der kleinen Tänzerin 1881 zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wird, ist man empört. Der zeitgenössischen Kritik ist sie zu lebendig, zu menschlich. Man sieht in ihr das Laster, Verrufenes, ja sogar Prostitution. Interessant, denn all dies ist da gar nicht. Da ist nur ein junges Mädchen in Ballettkleidung und -pose. Alles andere wird in sie hineininterpretiert, ist die Vorstellung der Betrachter. Es entsteht das Bild, das die Betrachtenden vielleicht auch sehen wollen. Denn schließlich „gehört“ es sich nicht, für ein junges Mädchen, so „keck“ dazustehen, so selbstbewusst aufzutreten. Die Gesellschaft schafft sich also ein Bild von Degas Werk, das ins Bild passt, ...

 

Die „Petite Danseuse“ wird bis zu Degas‘ Tod 1917 nicht mehr ausgestellt. Seine Nachfahren entdecken sie (wieder) und lassen Bronzegüsse der Statue anfertigen, zwanzig Stück – einer befindet sich im Musée d‘Orsay[2]

 

Ich mag die „Kleine vierzehnjährige Tänzerin“. Für mich hat sie eine unglaubliche Präsenz. Große Ausdruckskraft. Tatsächlich finde ich sie ein bisschen frech, aber das ist gut so! Sie ist selbstbewusst, weiß, was sie darstellt. Großartig.

 



[1] Und deshalb ist es streng genommen auch keine Skulptur, sondern eine Plastik. Eine Skulptur entsteht durch das Abtragen von Material, z.B. das Behauen von Marmor, dies ist ein subtraktiver Prozess. Die Plastik hingegen entsteht im additiven Prozess, durch das Zufügen von Material. 

[2] Deshalb habe ich weiter oben gesagt, dass es streng genommen gar nicht Degas‘ Werk ist, denn es ist ja „nur“ ein posthum entstandener Bronzeguss. Das Original befindet sich in der National Gallery of Art in Washington DC.

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