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Ist Tante Kunigunde objektiv? Und was hat sie mit Fotografie zu tun? Oder mit Kunst?

 Kunigunde. Ist es nicht ein schöner Name? Sogar ein alter Name, wohl mit germanischen Wurzeln. Das „kunni“ (oder kuni) darin steht im Althochdeutschen für das Geschlecht und das „gund“ für den Kampf. Für den Namen könnte das eine Übersetzung wie „die Kämpferin“ bedeuten. Heute ist der Name wohl eher nicht mehr so typisch – im Mittelalter allerdings, da hätte er wohl die Hitliste der beliebtesten Mädchennamen angeführt. Wenn es sie schon gegeben hätte. 

 

Was das jetzt alles soll? Nein, ich bin nicht plötzlich unter die Onomastiker gegangen! ...hihihi, auch ein tolles Wort, nicht!? Onomastiker! Ist aber nichts Schlimmes, tut auch nicht weh, ist nur „Namensforschung“! Also, wie gesagt, habe ich keinerlei Drang mich in Richtung einer derart klangvollen Forschung zu bewegen. Ich habe übrigens auch keine Tante Kunigunde. Ja, das ist schade. Ich hoffe auch keiner der geschätzten Leser:innen hat eine Verwandte mit diesem Namen. Und wenn, dann würde ich mich sehr freuen, sie einmal kennenzulernen. Ehrlich!

 

Bis zum Kaffeeklatsch mit Sahnetorte bei Tante Kunigunde aber vielleicht erst einmal eine kleine Erklärung von mir, weshalb ich keine Tante Kunigunde habe und sie es trotzdem sogar in den Titel dieses Artikels geschafft hat. Dieser Name ist für mich das Synonym für „Max Mustermann“ oder auch „Jan Kowalski“ (hier findet man übrigens noch mehr solcher Platzhalternamen). Ja, auch Tante Kunigunde hält nur den Platz... Ist so. 

 

(Wie gut, dass ich diesen Artikel nicht als Aufsatz in der Schule geschrieben habe, denn dann würde jetzt wahrscheinlich ein „Logik?“ oder auch „Komm auf den Punkt!“ am Rand stehen. In Rot.)

 

Also zum Punkt. 

Kunst ist subjektiv. 

Zu schneller Punkt? 

Dann versuche ich mal, die beiden Punkte miteinander zu verbinden: Jede:r Künstler:in wählt für ihr:sein Kunstwerk bestimmte Dinge aus. Farbe und andere Materialien. Untergründe. Thema bzw. Motiv. Ach und noch sooooo vieles mehr. Diese Auswahl ist natürlich eine rein subjektive. Hat vielleicht mit persönlichen Vorlieben für bestimmte Materialien zu tun. Mit zeithistorischen Umständen. Und auch das Motiv, der jeweilige Ausschnitt, ist eine bewusste Entscheidung. 

 

So, und hier kommt Tante Kunigunde ins Spiel. Und die Fotografie.

Ich führe an dieser Stelle immer gerne einen in der Vergangenheit liegenden Geburtstag an, an den wir uns (aufgrund unseres jugendlichen Alters) nicht mehr wirklich erinnern können. Weshalb wissen wir trotzdem noch die Farbe des Kleides von Tante Kunigunde? Na klar, weil wir Fotografien gesehen haben, auf denen sie dieses giftgrüne Etwas trägt. Und diese Schuhe – farblich nicht so ganz passend, aber bitte, wer hellblau mag! 

 

Also, das Foto funktioniert hier als Erinnerungsspeicher. Bringt uns gewisse Ereignisse aus der Vergangenheit wieder ins Gedächtnis. Stützt dieses. Nun und die- oder derjenige der „damals“ dieses Foto aufgenommen hat, hat ja einen ganz bestimmten Bildausschnitt gewählt für diese eindrückliche Erinnerung. Nämlich genau so, dass sowohl Kleid als auch Schuhe der Tante zu sehen sind. Nicht die Fliege von Opa Bartholomäus. Nicht die Puppe von Klein-Ida. Bildausschnitt gewählt und damit auch unsere Erinnerung beeinflusst. 

 

Ähnliches bei Urlaubsfotos: was da drauf ist, bestimme ich. Will ich nur „Schönes“ zeigen, zeige ich eben nicht die vielen Quallen am Strand, die uns wochenlang vom Baden abgehalten haben. Sondern das Meer in der Ferne. Untergehende Sonne. (Es gab in diesem Urlaub nur Sonnenuntergänge.)

 

Der Urlaub übrigens ebenso fiktiv wie Tante Kunigunde.

 

Zurück zum Punkt. In der Malerei verhält es sich ebenso. Ausschnitte werden gewählt. Farben. Subjektiv. Auswahl der Pinselgröße und -art. Pinsel in die Hand nehmen. Pinsel in die Farbe eintunken. (Vielleicht Ölfarbe. Vielleicht aber auch Acryl. Oder Wasserfarbe.) 

Welcher Farbton? Subjektive Entscheidung. 

Aufsetzen des in Farbe getränkten Pinsels. An welcher Stelle? Subjektive Entscheidung. (Außer bei Sigmar Polke, der hat gesagt, dass ihm das höhere Wesen eingeflüstert haben...) 

Wie fest der Pinsel aufgesetzt wird. Subjektive Entscheidung. 

Länge des Pinselstrichs - s.o.

 

Ich glaube, es wird deutlich, was ich meine. 

 

In der sog. „modernen“ Kunst, also sagen wir mal vor allem so ab dem Ende des 19. Jahrhunderts, versuchten Künstler:innen zunehmend, ihren eigenen Einfluss aus den Werken draußen zu lassen. Die Subjektivität, ihren eigenen Blickwinkel, zu eliminieren. (Also natürlich nicht alle Künstler:innen...) Anyway.

 

Wie das gehen kann? Na, zum Beispiel so, wie bei Jackson Pollock. Er hat mit seinen Drippings versucht, seinen direkten Einfluss als Künstler außen vor zu lassen. Also nicht komplett, aber ziemlich weit. Leinwand auf dem Boden ausgebreitet. Farbeimer mit Löchern oder Stöcke voll Farbe darüber geschwenkt. Wo und wieviel Farbe auf die Leinwand tropft – nicht mehr wirklich steuerbar. Subjektive Entscheidung nur noch in Teilen vorhanden. (Darüber habe ich mich auch in meinem Blogartikel „Der Zufall geht Wege,... schon einmal ausgelassen.)

 

So, zurück zur Fotografie. Auch hier ist es so, dass es Versuche gab und gibt, möglichst objektiv, nüchtern, realistisch zu fotografieren. Aber genau das ist natürlich der Punkt. Was ist denn realistisch. Und wessen Realität ist es, die da abgebildet wird? Ist die Realität der:des Fotografin:en auch meine? Kann sie das überhaupt sein? Und haben wir es nicht mit mehreren Realitätsebenen zu tun? Und jede:r der die Fotografie betrachtet sieht wiederum eine jeweils andere? 

 

Bezogen auf Tante Kunigundes Kleid würde dies zudem noch den zeithistorischen Faktor ins Spiel bringen. Das Foto wurde vermutlich in einer Zeit aufgenommen, in der grellgrün und hellblau eine sehr angesagte Kombination waren. Dem einen gefällt’s, die andere schüttelt sich. ...jede:r mit seiner subjektiven Wahrnehmung ausgestattet bringt unterschiedliche Vorlieben und Ideen mit ins Spiel. Äh, ins Foto. 

 

Mit etwas Abstand schauen wir vielleicht auch mit anderem Verständnis auf diese Momentaufnahme. Werden eventuell etwas milder in unserer Sicht auf die Dinge. Schon wieder eine neue (oder andere) Realität! Vielleicht sogar eine andere, als wir selbst noch kürzlich hatten. In der Zwischenzeit sind andere Erfahrungen hinzugekommen, haben unseren Blickwinkel verändert.

 

Das ist übrigens auch für den Alltag ganz sinnvoll. Also Blickwinkel und Perspektive wechseln sowieso. Aber auch, daran zu denken, dass es die eine Objektivität nicht gibt. Es sind immer Ausschnitte, die wir sehen. Und andere auch. 

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