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Warum sind Wunder eigentlich blau? …oder sind es doch nur Kuriositäten?  

 

Und warum ist es im Grunde eine Drohung, wenn uns jemand entgegenschmettert: „Du wirst noch dein blaues Wunder erleben!“? 

Ein Wunder als solches ist ja erst einmal nichts Negatives – im Gegenteil, manchmal erhofft man sich doch gerade ein Wunder: um Unheil abzuwenden, etwas Gutes herbeizuführen. Eigentlich etwas Übernatürliches, eine positive, nicht vorhersehbare Überraschung. Das blaue Wunder hingegen (ich meine nicht das in Dresden, da ist es eine Brücke aus Stahl, die Blasewitz und Loschwitz miteinander verbindet und angeblich von allein die Farbe von Grün zu Blau gewechselt hat. Das wäre allerdings ein Wunder, ist aber vermutlich eher einem rein chemischen Phänomen zuzuschreiben.). Nun also, das blaue Wunder, von dem ich spreche, ist wohl schon seit dem Mittelalter belegt und bringt unterschiedliche Geschichten mit sich. Die eine ist zurückzuführen auf einen blauen Dunst (auch: „jemandem einem blauen Dunst vormachen“), der wiederum wohl auf Zauberkünstler zurückverweist, die mit narkotisch wirkenden Dämpfen ihr Publikum beeinflusst haben. Eine weitere Geschichte handelt von der Entdeckung von Kobalt (=Kobaltblau) in einer Grube in Sachsen. Oder waren es doch die Tuchfärber, deren Stoffe zunächst einen grünen oder gelblichen Farbton hatten, der dann beim Kontakt mit Sauerstoff in einen Blauton wechselte (ja, hier gibt es auch die Geschichte, dass die Färber ordentlich trinken mussten und ihre Blase über dem zu färbenden Stoff entleerten, wobei dieser sich durch die Säure des Urins bläulich verfärbte)… Oder ist es in der Symbolik der Farbe Blau begründet, die ursprünglich nicht für die Treue, sondern für die Täuschung stand? (Man denke an den Satz: „Das Blaue vom Himmel herunterlügen.“).

 

Also, welche Farbe auch immer das Wunder hat – es fasziniert. Immer schon. Oder: immer wieder. Und irgendwann hat man sogar begonnen, Wunder zu sammeln. Also genauer gesagt, in Europa etwa ab der Renaissance. 

 

Wunder. Vorhin habe ich ja gesagt, das sind eigentlich Ereignisse. Die kann man schlecht sammeln. Höchstens das sich Ereignende schriftlich festhalten. Gibt’s zum Beispiel als Berichte darüber, dass mitten im Sommer (am 5.8.) mitten in Rom Schnee fiel. Das war 358 und der Überlieferung zufolge soll an dem Morgen dieses Tages auf dem Esquilin (einem Hügel in der ewigen Stadt) ein Schneeflecken gelegen haben. Zuvor hatte wohl ein Paar die Gottesmutter Maria gebeten, ihnen bei ihrem Wunsch nach einem Kind Unterstützung zu senden – sie erschien ihnen im Schlaf und sagte ihre Hilfe zu, wenn das Paar dort eine Kirche errichten würde, wo am nächsten Morgen Schnee liegt. Papst Liberius hatte wohl ebenfalls eine Marienerscheinung, die diesen Schnee vorhersagte und auch er fand ihn – gemeinsam mit dem Paar vor. So wurde an dieser Stelle Santa Maria Maggiore errichtet, eine Kirche, die bis heute zu den vier Papstbasiliken gehört und noch immer Santa Maria ad Nives als Patronin hat, Maria Schnee. 

Wir kennen natürlich noch viele andere Wunder-Erzählungen. Aber eben Erzählungen, die man zwar auch auf eine Art sammeln kann, aber die lassen wir jetzt einmal außen vor. Die Wunder, um die es jetzt gehen soll, sind auch Ereignisse, aber vielleicht eher Naturereignisse im Sinne von Kuriositäten. Und diese wurden gesammelt: von reichen Bürgern, vom Adel, von Herrschern, von…

 

Was das war? Na, zum Beispiel Korallen, besondere Perlen, Muscheln, Straußeneier, aber auch außergewöhnliche (Tier-)Föten, die als Präparate in Glas aufbewahrt wurden, Elfenbeinschnitzereien, geschnitzte und verzierte (Kirsch-)Kerne, Porzellan, Glas, Spiegel, Uhren, … Ach und so vieles mehr. Man wollte Staunen. Und andere in Staunen versetzen. Vielleicht war auch ein bisschen Grusel oder Ekel dabei im Spiel. Es ging jedenfalls primär nicht um „schöne“ Dinge. 

 

Wie ich schon sagte (äh, schrieb), waren diese Dinge besonders begehrt in den höheren Schichten der Gesellschaft. Man denke hierbei auch an Maria Sybilla Merian, die viel Geld für eingefangene, getötete und hinter Glas fixierte Schmetterlinge, Käfer und anderes Getier erhielt. Für die echten, aber auch für die dann von ihr meisterhaft gezeichneten Exemplare. 

 

Warum man das sammelte? Na ja, einerseits wegen dem Staunen (s.o.), andererseits auch unter dem Motto „guck mal, was ich alles habe“! (Und damit implizit auch: „guck mal, mit was ich mich auskenne“). Es geht hier also um Macht. Machtspielchen. Mein Säbelzahntiger-Zahn, meine Muschel, mein Kirschkern.

 

Oftmals stammten diese Kuriositäten – Wunder – ja auch von anderen Kontinenten, aus fernen Ländern (Merian zum Beispiel reiste bis nach Surinam!), waren Gastgeschenke an einen Fürsten, einen König, einen Herrscher. Man zeigte also auch eine gewisse Weltgewandtheit. Wow!

 

Man sammelte, man stellte aus, man präsentierte. Und diese Sammlungen konnten ganz unterschiedlich sein. Schließlich lag es im Auge des Betrachters, was der Aufnahme würdig, kurios genug war. Es waren im Grunde keine Kunstgegenstände (zumindest anfangs nicht), sondern Alltagsgegenstände, Populärkultur, Volkskunst. 

 

Die Sammlungen wurden größer, umfangreicher. Man schaue sich Schloss Ambras in Innsbruck oder das Grüne Gewölbe in Dresden an: letztere eine Parade-Wunderkammer, begonnen im 16. Jahrhundert unter Kurfürst Moritz von Sachsen und im 18. Jahrhundert stark erweitert unter August dem Starken. Natürlich fand hier auch das „weiße Gold“ (= Porzellan) nachdem man es „erfunden“ (zumindest für die europäische Welt) hatte, Eingang oder auch Rubingläser und so vieles mehr. Und das Kuriositätenkabinett, die Wunderkammer, wandelte sich, wurde zur Naturkundesammlung, zum Kunstkabinett und damit ist sie ein Vorläufer unserer heutigen Museen. 

 

Und ein klitzekleines bisschen „Wunder-sammeln“ hat sich auch erhalten in den hölzernen Setzkästen, die eigentlich im Buchdruck zum Aufbewahren der Lettern genutzt wurden. Von Kuriositäten aller Art belegt, an die Wand gehängt – dekorativ und voller Wunder. Manchmal vielleicht auch blauen! 

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